6. Juli 2023

Ein Fotowalk quer durch die Stadt: Einfach in die nächstbeste Straßenbahn, oder nächsten Bus steigen und gucken, wohin die Reise führt. Ein kontrollierter Kontrollverlust - ob das gut ging?

In mei­nem Bei­trag >zum ers­ten Foto­walk, den ich mit mei­ner lie­ben Freun­din Caro unter­nom­men habe, habe ich geschrie­ben, dass ich ein etwas gespal­te­nes Ver­hält­nis zu Foto­walks habe.

Die Gefahr des wahl­lo­sen Knip­sens, so habe ich aus­ge­führt, sei groß und in der Ver­gan­gen­heit hät­te ich dabei vor allem viel Daten­müll pro­du­ziert.

Zu mei­ner sehr posi­ti­ven Über­ra­schung sind wäh­rend unse­rer ers­ten drei Foto­walks, die uns durch >Bre­men-Wal­le, >Blu­men­thal & Vege­sack und die >nächt­li­che Bre­mer Innen­stadt geführt haben, eini­ge sehr schö­ne Fotos ent­stan­den.

Für unse­ren jüngs­ten Foto­walk hat­ten wir kei­nen kon­kre­ten Stadt­teil im Sinn, son­dern woll­ten uns gleich die kom­plet­te Stadt unter­tan machen.

Aus­ge­stat­tet mit einem Tages­ti­cket der Öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel war unse­re Idee, in die erst­bes­te Stra­ßen­bahn oder den erst­bes­ten Bus zu stei­gen und mal zu sehen, wohin wir kom­men wür­den. Am ers­ten Ziel ange­kom­men, woll­ten wir ein wenig die Umge­bung erkun­den, um dann erneut in das nächs­te öffent­li­che Ver­kehrs­mit­tel stei­gen, das vor­bei­kä­me. Sozu­sa­gen eine Magi­cal Mys­tery Tour durch die Stadt.

Ich kann vor­weg­neh­men: Wohl­wol­lend könn­te man die­sen Foto­walk, jeden­falls was mei­ne Bild­aus­beu­te angeht, als Ver­such in seri­el­ler Foto­gra­fie beschrei­ben. Denn ich habe vor allem Stra­ßen­bahn­tü­ren foto­gra­fiert. Oder geknipst. Womit ich dann wie­der bei mei­nen grund­sätz­li­chen Vor­be­hal­ten Foto­walks gegen­über wären — hät­ten mich die bis­he­ri­gen Spa­zier­gän­ge nicht vom Gegen­teil über­zeugt.

Unser Aus­flug begann am aus­ge­spro­chen frü­hen Mor­gen um acht Uhr. Wenn­gleich Caro und ich pas­sio­nier­te Spaziergänger:innen sind, haben wir gleich die nächs­te Stra­ßen­bahn­hal­te­stel­le gesucht und, wie wir das geplant hat­ten, die ers­te Bahn genom­men, die uns in die Innen­stadt fah­ren wür­de.

In der Bre­mer Innen­stadt gibt es zwei zen­tra­le Umstei­ge­punk­te, von denen aus die Fahr­gäs­te in nahe­zu alle Ecken der Stadt fah­ren kön­nen, die Hal­te­stel­len “Am Brill” und “Domshei­de”.

Unse­re Ent­schei­dung fiel auf die Domshei­de und von dort aus brach­te uns die ers­te Stra­ßen­bahn in die Nähe der Uni­ver­si­tät.

Ich weiß nicht, ob es an der frü­hen Stun­de lag, oder dar­an, dass es bereits am frü­hen Mor­gen rela­tiv warm war und ich Wär­me nicht beson­ders schät­ze — aber so rich­tig war ich nicht im Foto­mo­dus.

Viel­leicht war es ein­fach auch nur einer die­ser Tage. Ich fand die Gegend, eigent­lich ein typi­sches Mit­tel­klas­se-Wohn­ge­biet, nicht wahn­sin­nig ein­la­dend. Ich war nicht so rich­tig gut dar­in, Moti­ve zu erken­nen und die Moti­ve, die ich fand, haben mir nicht wahn­sin­nig gut gefal­len.

Wir ver­lie­ßen das Wohn­ge­biet und folg­ten einem klei­nen Stich­weg, der uns in ein Gar­ten­gebiet führ­te. Auch hier gab es für mich foto­gra­fisch nicht viel span­nen­des zu ent­de­cken, wobei Caro ein paar schö­ne Bil­der gelun­gen sind. Es lag also offen­sicht­lich mehr an mir, als an der uns umge­ben­den Gegend.

Als wir uns auf eine Bank setz­ten, stell­te ich fest, dass der Weg, an dem wir saßen, offen­bar eine belieb­te Jog­ging-Stre­cke ist.

Um nicht in Kon­flikt mit dem Daten­schutz zu kom­men, ich aber ein wenig Lust hat­te, das mensch­li­che Ele­ment in mei­nen Fotos zu haben, woll­te ich die Füße und Bei­ne der vor­bei­kom­men­den Läufer:innen foto­gra­fie­ren — und obwohl unzäh­li­ge lauf­be­geis­ter­te Men­schen an uns vor­bei­lie­fen, ist mir nicht ein schar­fes Foto geglückt.

Auch die Bewe­gungs­un­schär­fe war nicht so pri­ckelnd und so ger­ne ich den Lauf­bil­d­ern ger­ne etwas posi­ti­ves abge­won­nen hät­te, konn­te ich schlicht nicht — und habe sie alle gelöscht.

Immer­hin kamen wir kurz dar­auf an einem Fahr­rad vor­bei, dass anschei­nend schon län­ge­re Zeit nicht mehr benutzt wur­de. So rich­tig län­ge­re Zeit. Der Draht­esel war von irgend­ei­nem Grün­zeug Über­wu­chert, ob das jetzt Moos, Grün­span, Flech­ten oder irgend­ein ande­res flo­ris­ti­sches XXX war, ver­mag ich man­gels Wis­sen und ehr­li­cher­wei­se auch Inter­es­se nicht zu beur­tei­len.

Ein Foto also von Pati­na. Das auf einen der bil­ligs­ten Kunst­grif­fe zurück­greift, die es in der Foto­gra­fie gibt: ein­fach den Vor­der­grund scharf, den Hin­ter­grund unscharf ablich­ten — zack, ein schein­bar gei­les Foto.

Wir sind dann noch ein wenig durch die Klein­gar­ten­an­la­ge spa­ziert und haben uns über die­se piek­fei­nen Gär­ten amü­siert, die mit dem Line­al aus­ge­mes­sen und der Nagel­sche­re gepflegt schie­nen.

Ich freue mich natür­lich, wenn Men­schen sich in die­sen domes­ti­zier­ten Imi­ta­tio­nen von Natur wohl­füh­len, auf mich ver­sprü­hen Gär­ten jener Art aber auch den Charme einer Zeit, in der Vati der Allein­ver­die­ner war, Mut­ti vor allem für die Kin­der­er­zie­hung und den Haus­halt zustän­dig, am Sonn­tag gab es Bra­ten und die größ­te Angst war, dass der Rus­se plötz­lich vor der Tür ste­hen kön­ne, was aber ja irgend­wie auch wie­der schreck­lich aktu­ell ist.

Nach­dem wir unse­re Stipp­vi­si­te in der Klein­gar­ten­an­la­ge abge­schlos­sen hat­ten, ging es wie­der zur Hal­te­stel­le. An der wir dann erst ein­mal zwan­zig Minu­ten war­ten muss­ten.

In Bre­men sagt man ger­ne, dass die Stadt ein Dorf mit Stra­ßen­bahn sei, wobei sich der grund­sätz­li­che Wahr­heits­ge­halt die­ser char­man­ten Selbst­zu­schrei­bung an Sonn­ta­gen ledig­lich auf Dorf redu­ziert.

Auf der Hin­fahrt hat­te Caro ein Fens­ter ent­deckt, in dem, befes­tigt an Metall­schie­nen, zahl­rei­che Stahl­mes­ser auf­ge­reiht hin­gen und da die Aus­sicht auf ein Motiv nach der kar­gen Aus­beu­te zu Beginn des Tages einen Hoff­nungs­schim­mer dar­stell­te, sind wir in den Stadt­teil Schwach­hau­sen gefah­ren, in dem sich wun­der­schö­ne alte Bre­mer Häu­ser befin­den, die Alt­bre­mer Häu­ser genannt wer­den, viel Stuck und hohe Decken haben und in denen sich das tra­di­tio­nel­le Bür­ger­tum hei­misch fühlt.

Aber auch von jenem Fens­ter ist mir foto­gra­fisch nicht so rich­tig etwas geglückt. Und mir däm­mer­te schon, dass ich viel­leicht ein­fach nicht in die Stim­mung kom­men wür­de, heu­te ein brauch­ba­res Foto zu machen.

Außer eben einer bei wohl­wol­len­der Betrach­tung klei­nen Serie von Stra­ßen­bahn­tü­ren.

Nach­dem es kurz an der Zeit war, eine klei­ne Kaf­fee­pau­se zu machen, sind wir, das war ja unser Tages­the­ma, wie­der zur nächst­ge­le­ge­nen Hal­te­stel­le und dann zum Flug­ha­fen — dort müss­te es ja etwas span­nen­des zu sehen geben.

Und das gab es auch: den Flug­ha­fen. Nun gilt für den Flug­ver­kehr in Bre­men, was auch für den Öffent­li­chen Per­son­nah­ver­kehr gilt. Am Sonn­tag ist hier halt vor allem Dorf. Nur eben auch mit Lande‑, statt nur Stra­ßen­bahn.

Der Bre­mer Flug­ha­fen, der sich scherz­haft Air­port nennt, ist nach dem ehe­ma­li­gen Bür­ger­meis­ter Hans Koschnick benannt, der im Nach­gang zu den Jugo­sla­wi­en-Krie­gen der Neun­zehn­hun­der­neun­zi­ger Jah­re auch zu über­re­gio­na­ler Bekannt­heit gelang­te, als er als EU-Beauf­trag­ter in Mostar ein­ge­setzt wur­de.

Die Fre­quenz in der die Flug­zeu­ge in den Him­mel stie­gen oder lan­de­ten, ten­dier­te gegen Null. Also sie war exakt bei Null, zumin­dest in der Zeit, in der wir dort waren. Viel­leicht ist das aber auch nur ein Potjomkin’scher Air­port, wobei ich mir sicher bin, schon ein paar Mal von hier geflo­gen zu sein.

Von kei­nen Flug­zeu­gen abge­se­hen, gab es hier auch wenig zu ent­de­cken. Etwas moder­ne, aber irgend­wie kal­te Lager­hal­len­ar­chi­tek­tur, ein Tüm­pel und über­haupt war es viel zu warm, als dass mir das Foto­gra­fie­ren dort Spaß gemacht hät­te und ich ver­mu­te, dass mei­ne Grund­stim­mung jenes Tages lang­sam auf die­sen Blog­bei­trag abfärbt.

Für mich ent­stand jeden­falls die Erkennt­nis, dass das Schöns­te am Flug­ha­fen die Stra­ßen­bahn weg von ihm ist und sei es nur, damit ich ein Foto von einer Stra­ßen­bahn­tür machen kann.

Unser nächs­ter Halt soll­te am Bahn­hof sein und der Bre­mer Bahn­hof ist tat­säch­lich ein klei­nes High­light, ist er doch wun­der­schön und hat den zwei­ten Welt­krieg des­halb über­stan­den, weil auf sei­nem Dach eine Art gro­ße Pla­ne instal­liert wur­de, die den Anschein erweck­te, dass hier Fel­der sei­en — und nie­mand wirft zumin­dest absicht­lich Bom­ben auf Fel­der.

In star­kem Kon­trast zum wirk­lich hüb­schen his­to­ri­schen Bahn­hof steht der Platz davor, der sin­ni­ger­wei­se Bahn­hofs­vor­platz genannt wird und Heim­statt vor allem zwie­lich­ti­ger Gestal­ten ist.

So galt es dann auch, mög­lichst schnell vom Bahn­hof weg­zu­kom­men, wobei uns unser Weg direkt zum nächs­ten Bahn­hof füh­ren wür­de, einem Bus­bahn­hof, der sich aller­dings noch im Bau befin­det.

Der neue, offen­kun­dig fast fer­tig gebau­te Bus­bahn­hof ist durch­aus hübsch und so leer wird man ihn ver­mut­lich schon in Kür­ze kaum wie­der vor­fin­den.

Da ich aber kei­nen Bus­bahn­hof ken­ne, der nicht, wie der Haupt­bahn­hof, Heim­statt zwie­lich­ti­ger Gestal­ten ist, ver­mu­te ich, dass das Are­al sei­ne ja-doch-irgend­wie-Schön­heit bald schon ver­lie­ren wird.

Der Bus­bahn­hof soll­te dann auch unse­re letz­te Sta­ti­on des Tages sein und wir haben uns auf den Heim­weg gemacht. Bei ekel­haf­ter Hit­ze. Zu Fuß. Durch eine Beton­land­schaft, die von stark fre­quen­tier­ten Stra­ßen gesäumt war.

Und obwohl mei­ne Bild­aus­beu­te gering war und mir eigent­lich kein ein­zi­ges gutes Foto gelun­gen ist, gilt mei­ne Maxi­me, dass im Zwei­fel der Weg das Ziel ist.

Der Weg war lang, führ­te uns mehr­fach durch die Stadt — und er war unter­halt­sam.

Inso­fern also ohne jeden Zwei­fel wie­der ein Foto­walk, der es abso­lut wert war. Ich freue mich auf den nächs­ten. Dann hof­fent­lich wie­der mit brauch­ba­ren Fotos.