Wenn du die Startseite aufmerksam gelesen hast, hast du sicherlich zur Kenntnis genommen, dass ich zwischen “knipsen” und “fotografieren” unterscheide.
Knipsen macht ohne Zweifel Spass: einfach wild drauflos fotografieren, die Motive einfach auf sich zukommen lassen und am Anfang des Tages nicht zu wissen, was am Ende des Tages an Fotos entstehen wird. Das ist natürlich fotografische Freiheit, gleichsam ist dem Knipsen aber auch das Risiko immanent, ziel- und wahllos um sich zu fotografieren und dabei viel Durchschnitt zu produzieren.
Fotowalks sind für mich der Inbegriff des Knipsens — und so habe ich grundsätzlich ein ambivalentes Verhältnis zu den Spaziergängen mit Kamera. Einerseits können dabei gute Bilder entstehen, oft habe ich dabei in der Vergangenheit aber auch viel Datenmüll produziert.
Nun ergab es sich aber, dass ich mit der lieben und von mir menschlich wie fotografisch sehr geschätzten Caro einen ersten Walk unternommen habe. Bei bestem Bremer Durchschnittswetter, es war bewölkt mit gelegentlichem Sonnenschein und für nordische Gemüter frühlingshaften fünf Grad trafen wir uns am Vormittag und sind einfach mal losgelaufen.
Wir wohnen erfreulicherweise in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander und in unmittelbarer Nachbarschaft zu uns befindet sich das relativ neue Quartier der Überseestadt, in dem alte Industrie- und Hafenanlagen in moderne Büro- und Wohnungetüme umgebaut werden, die sich vor allem dadurch kennzeichnen, dass sie in einer Architektur daherkommen, von der man in dreißig Jahren schulterzuckend und peinlich berührt sagen wird, dass man damals eben so gebaut habe.
Der Weg in die Überseestadt führte uns zunächst durch die eigene Hood, wie wir coolen jungen Leute sagen, in der, obschon wir schon den späten Vormittag hatten, nicht viel los war. Es war eben Sonntag und der einladende Charakter des Wetters streitbar, was uns aber nicht stören sollte.
Viel zu sehen gab es hier nicht, wenngleich die eine oder andere Pfütze vor allem Caro einlud, die Kamera in Anschlag zu nehmen. Meine persönlichen Pfützen- und Spiegelungsskills sind, wie ich heute lernen durfte, ausbaufähig, aber damit kann ich leben. Insofern wurde aus dem oben erwähnten und grundsätzlich befürchteten Knips-Gang aber bereits zu Beginn ein Gang mit Lerneffekt. Zukunfts-Patrick wird sich um die Pfützen-Fotografie kümmern.
Unser erster Gang im Überseequartier führte uns an das ehemalige Kellogg’s‑Gelände, das bereits weitgehend abgerissen und derzeit eine Baustelle ist. Ein fehlendes Stück im Bauzaun ließ uns annehmen, dass das Betreten der Baustelle hier nicht untersagt sei, zumal auch weit und breit kein Verbotsschild stand — und wenn es in Deutschland kein Schild gibt, das etwas verbieten würde, ist es ‑Logik war schon immer eine meiner Stärken- erlaubt.
Wie ein grauer Monolith ragte ein alter Bunker mit aufgesprühtem Smiley über die Baustelle und lud uns ein, nach Perspektiven zu suchen, diesen attraktiv abzulichten.
Ebenfalls auf dem ehemaligen Kellogg’s‑Gelände haben wir einen schönen Spot gefunden, an dem wir in Kürze mit unserem herzallerliebsten Lieblingsmodel einen Shoot unternehmen wollen.
Als wir weitergingen, fiel uns eine neue, in ein altes Verwaltungsgebäude von Kellogg’s gebaute Schule auf. Die war ganz schön modern, mit elektrischen Schiebetüren — sie sich plötzlich öffneten, als wir uns näherten. Analog zur Lücke im Bauzaun war das ja nachgerade als Einladung zu verstehen, dass wir uns dort einmal näher umsehen sollten.
In den Randbereichen des Überseequartiers gibt es viele ranzige, ergo schöne, Hinterhöfe, die einen hübschen Kontrast zu der sie umgebenden, neuen Schicki-Architektur bilden. In einem dieser Hinterhöfe scheint übrigens ein Falkenpaar zu nisten, so dass ich in den kommenden Tagen unbedingt noch einmal mit meinem Tele dorthin gehen muss.
Als wir uns wieder dem Zentralbereich der Überseestadt näherten, konnte ich dann übrigens einen echten fotografischen Erfolg feiern. Meine Beziehung zur Street Photography ist, ähnlich wie mein Verhältnis zu Fotowalks, von einem gewissen Zwiespalt geprägt. Es gibt unfassbar gute Straßenfotos und noch unfassbar mehr Mist in diesem Genre. Dennoch wollte ich mich immer mal wieder daran versuchen und bekam heute gleich mehrmals die Gelegenheit.
Uns fiel auf, dass viele Menschen in Anbetracht des bevorstehenden, wenngleich noch nicht fühlbaren Frühlings, ausgesprochen farbenfroh unterwegs waren. Und als ich die Joggerin in ihrer rosa Trainingsjacke sah, konnte ich gar nicht anders, als ablichten.
Allmählich begannen wir, uns unserem Ausgangspunkt zu nähern und sind dann weiter in Richtung des alten Arbeiterviertels Bremen-Walle gelaufen.
Caro zeigte einige wunderschöne Ecken, die ich bislang noch nie entdeckt hatte. Zwar wohne ich schon über zehn Jahre hier, so richtig intensiv erkundet habe ich den Stadtteil aber nicht. Ist auch schwierig, ich habe einen Supermarkt, der zwei Gehminuten Minuten von meiner Wohnung entfernt liegt, die nächste Straßenbahnhaltestelle befindet sich ebenfalls in unmittelbarer Nähe — und ich gebe zu, dass ich auch gerne zuhause bin. Das wird sich aber in Kürze mit Sicherheit ändern, der heutige Gang war schon arg inspirierend — und deutlich mehr Fotografie als reines Knipsen.
Über den Stadtteilpark, den Waller Park (den ich vorher auch noch nie besucht hatte), sind wir dann in Richtung der alten Hafengebiete gelaufen. Dort befinden sich viele alte Schuppen und Industriegebäude, die deutlich mehr Charme haben, als die Neubauten in der nahegelegenen Überseestadt. Zwar wird auch hier viel modernisiert und umgewidmet, die grundsätzliche architektonische Struktur der Gebäude bleibt aber glücklicherweise erhalten.
Der Abschluss unseres Fotowalks führte uns durch das alte Rotlicht-Viertel von Bremen-Walle. Wo einst das etwas zwielichtige Nachtleben pulsierte, ist heute nicht mehr viel los. Das Gewerbe hat unter Corona stark gelitten — im Schutz der Anonymität zu ficken geht halt nicht so gut, wenn es streng kontrollierte Kontaktverbote gibt.
Unser nunmehr fast fünf Stunden währender Rundgang durch die eigene Nachbarschaft endete schließlich bei Caro, die mich zu einem sehr leckeren Essen eingeladen hat. Wir haben uns dann noch eine ganze Weile über Kameras, Objektive und iMacs, sowie MacBooks unterhalten — bevor ich dann wieder nach Hause ging und den Rest des Tages bei Nachos und Junk Food mit einer Überdosis YouTube auf dem Bett verbracht habe.
Zum Abschluss des Tages bleibt die Erkenntnis, dass ich meine Einstellung zu Fotowalks zumindest in Teilen überdenke. Gerade Caros sehr herzliche Gesellschaft lassen mich auf den nächsten Fotowalk freuen, den ich mit Sicherheit bald mit ihr unternehmen werde.