24. Juli 2023

Die Kabinettausstellung "American Dreams" im Bremer Übersee-Museum will von Hoffnung, dem Streben nach Glück und der Lage der Sternenbannernation erzählen. Ein Instagram-Post hätte es auch getan.

Im August 2000 rei­tet Mel Gib­son im Film “Der Patri­ot” in die Schlacht um die Frei­heit. Er hält eine Stan­dar­te mit zeris­se­nem Ster­nen­ban­ner und macht auch sicher­lich irgend­et­was blu­ti­ges, weil Mel Gib­son es grund­sätz­lich ger­ne mag, wenn es blu­tig ist.

Drei­zehn Jah­re spä­ter spren­gen sich nord­ko­rea­ni­sche Ter­ro­ris­ten den Weg ins Wei­ße Haus und wie­der ein­mal weht die zer­ris­se­ne ame­ri­ka­ni­sche Flag­ge im Wind. Hier ret­tet Gerald Buttler im erstaun­lich unter­halt­sa­men “Olym­pus Has Fal­len” die Ver­ei­nig­ten Staa­ten und damit gleich die gan­ze freie Welt.

Mit Sicher­heit gibt es noch wei­te­re Fil­me, die den zer­ris­se­nen Ster­nen­ban­ner als Aus­druck des zumin­dest tem­po­rä­ren Nie­der­gangs der Welt­macht USA nut­zen und so wohnt dem Bild inzwi­schen ein gewis­ses Maß an Abge­dro­schen­heit inne.

Ich war folg­lich eini­ger­ma­ßen über­rascht, dass die von einer grö­ße­ren Pla­kat­kam­pa­gne flan­kier­te Foto­aus­stel­lung “Ame­ri­can Dreams” im Bre­mer >Über­see-Muse­um genau die­ses Bild als Auf­ma­cher nutzt: Ein Flag­gen­mast, mit­tig plat­ziert und in hoch­kant foto­gra­fiert. Den­noch, viel­leicht auch gera­de des­halb, war ich neu­gie­rig, die Bil­der­schau “Ame­ri­can Dreams” des Bre­mer Foto­gra­fen Vol­ker Bein­horn zu sehen.

Die “von der stren­gen For­men­spra­che des Foto­gra­fen gepräg­ten Bil­der”, so heißt es auf der Web­sei­te des Muse­um, wür­den Wider­sprü­che des Ame­ri­can Dream zei­gen. Auf­ge­teilt in die the­ma­ti­schen Grup­pen “Archi­tek­tur im Auf­bruch”, “Archi­tek­tur im Ver­fall”, “Men­schen”, “Land­schaf­ten” und “Street Art”.

Früh­stück. Par­ti­al­ly Ame­ri­can.

Zusam­men mit mei­nem Freund Dani­el, mit dem ich erst vor ein paar Wochen die Aus­stel­lung “Fake” auf dem >Raw Pho­to Fes­ti­val im Künst­ler­dorf Worps­we­de besucht habe, habe ich mir dann einen Sams­tag­vor­mit­tag reser­viert, um der Aus­stel­lung einen Besuch abzu­stat­ten.

Da ein gutes Wochen­en­de zunächst mit einem aus­gie­bi­gen Früh­stück beginnt, sind wir zum Beginn des Tages in den Able­ger einer eng­li­schen Café-Ket­te gegan­gen, die den Ein­druck erweckt, als sei sie ein kata­la­ni­sches Café und Bar, um uns am dor­ti­gen Früh­stücks­büf­fet zu laben.

Bei Crois­sants, Mar­me­la­de, Rühr­ei, Bil­lo-Capre­se und, natür­lich Donuts und Bacon, denn was könn­te ame­ri­ka­ni­scher sein, sind wir gemüt­lich in den Tag gestar­tet und haben uns über das Foto­gra­fie­ren, Kame­ras und foto­gra­fi­sche Vor­ha­ben unter­hal­ten.

Ins­be­son­de­re Dani­els sen­sa­tio­nel­les Insta­gram-Pro­jekt >bremen.faces, das unbe­dingt einen Besuch wert ist und mir jedes Mal gro­ße Freu­de berei­tet, wenn ich dort rein­schaue, sei hier noch ein­mal erwähnt.

Vom Café aus ging es dann in das Muse­um, das eine Insti­tu­ti­on in Bre­men ist und dem ich alle paar Jah­re mal einen Besuch abstat­te.

1896 gegrün­det war es eines der moderns­ten Muse­en sei­ner Zeit und ist mit dem Anspruch, “die Welt unter einem Dach”, so die Selbst­be­schrei­bung, zu zei­gen als Natur‑, Han­dels- und Völ­ker­kun­de­mu­se­um an die Öffent­lich­keit her­an­ge­tre­ten.

Die Dau­er­aus­stel­lung führt durch ver­schie­de­ne, nach glo­ba­len Regio­nen auf­ge­teil­te The­men­ge­bie­te und ist durch­aus immer mal wie­der einen Besuch wert.

Die Aus­stel­lung “Ame­ri­can Dreams”

Natür­lich sind wir zumin­dest kurz durch die regu­lä­re Aus­stel­lung gegan­gen, haben uns das eine oder ande­re mehr oder weni­ger ver­wir­ren­de Expo­nat ange­se­hen, um dann dann schließ­lich die Kabi­nett­aus­stel­lung zum ame­ri­ka­ni­schen Traum zu besu­chen.

Es waren um die 60 Foto­gra­fien aus­ge­stellt, was rein quan­ti­ta­tiv schon eine gan­ze Men­ge ist. Glau­be ich jeden­falls. Mein Erfah­rungs­schatz in Sachen Foto­aus­stel­lun­gen ist näm­lich ehr­li­cher­wei­se begrenzt.

Neben dem wei­ter oben erwähn­ten Besuch beim Raw Pho­to Fes­ti­val habe ich mir ein­mal die Aus­stel­lung eines Foto­clubs im Bre­mer Stadt­teil Vege­sack, den ich übri­gens auf mei­nem zwei­ten >Foto­walk mit mei­ner Freun­din Caro erkun­det habt, ange­se­hen. Auf bei­den gab es aber deut­lich weni­ger als 60 Bil­der zu ent­de­cken.

Und ich bin, das war schon 2016, für eine Foto­schau nach Ber­lin gefah­ren. Dort gab es die aus­ge­spro­chen sen­sa­tio­nel­len Fotos der >Inhe­rit the Dust-Serie des bri­ti­schen Foto­gra­fen Nick Brandt zu sehen, eine kaum zwei­stel­li­ge Zahl, aber die unfass­ba­re Rei­he war die mehr­stün­di­ge Rei­se in einem höchst dubio­sen Rei­se­bus alle­mal wert.

Das Buch zur Aus­stel­lung zählt bis heu­te zu mei­nen liebs­ten Bild­bän­den.

Im Über­see-Muse­um wer­den die Fotos des Bre­mer Foto­gra­fen Vol­ker Bein­horn gezeigt, der eigent­lich in der Por­trait- und Thea­ter­fo­to­gra­fie zuhau­se ist und in sei­nem Fach­ge­biet aus­ge­spro­chen gran­dio­se Fotos zu erstel­len ver­mag.

Da ich mich eher am Beginn mei­ner foto­gra­fi­schen Lauf­bahn sehe und, das ist die Idee die­ser Web­sei­te, ent­wi­ckeln möch­te, sehe ich immer wie­der Foto­gra­fien von denen ich sage, dass ich das auch ger­ne kön­nen wür­de — und Bein­horn gehört defi­ni­tiv zu den Foto­gra­fen, die sol­che Fotos zau­bern. Hash­tag Life­goals.

Die Fotos des “Ame­ri­can Dreams” sind auf zwei Rei­sen Bein­horns durch die USA ent­stan­den, in den Jah­ren 2016 und 2018. Also vor der Coro­na-Pan­de­mie und sowohl unter der Prä­si­dent­schaft von Oba­ma und Trump. Der poli­tisch-kul­tu­rel­le Bruch jener Zeit fin­det sich in den Fotos aber nicht wie­der.

Es sind unbe­strit­ten ange­nehm anzu­se­hen­de Fotos, die das Muse­um dort zeigt. Ein wenig wie ein Dia-Abend bei einem guten Freund, den man mit einem Glas Wein, fei­nem Käse und Brot sicher­lich als gelun­gen bezeich­nen könn­te.

Nur: das Schei­tern des Ame­ri­can Dream wur­de für mein Ver­ständ­nis nicht abge­bil­det, Wider­sprü­che sind sicher­lich ver­ein­zelt erkenn­bar — was aber nun auch kei­ne gro­ße Kunst ist, wenn man einer­seits moder­ne Glas-Stahl-Paläs­te in urba­ner Umge­bung und ver­fal­le­ne Motels irgend­wo im Nichts foto­gra­fiert und gegen­ein­an­der stellt.

Das Glei­che könn­te ich auch in mei­ner Nach­bar­schaft machen, es wür­de mich kei­ne zwan­zig Minu­ten kos­ten und ich hät­te kapi­ta­lis­ti­sche Moder­ne und ver­arm­ten Ver­fall abge­bil­det.

Auf die Idee, eine Aus­stel­lung über “Para­do­xien des urba­nen Raums als Aus­fluss post­ka­pi­ta­lis­ti­scher Gen­tri­fi­zie­rung” zu ver­an­stal­ten, wür­de ich trotz­dem nie­mals kom­men. Auch wenn das ein schö­ner Titel für einen Blog­post wäre.

Und Mate­ri­al für einen guten Bei­trag in einem Rei­se­blog hät­te auch die Aus­stel­lung gebo­ten — die Fra­ge ist nur: wozu muss es eine Aus­stel­lung sein? An einem so ver­gleichs­wei­se pro­mi­nen­ten Ort? Von einer im Stadt­ge­biet über­aus sicht­ba­ren Pla­kat­kam­pa­gne beglei­tet? Hät­te es nicht auch ein Insta­gram-Post getan?

Es sind hand­werk­lich gute Fotos, schö­ne Land­schafts­auf­nah­men, ver­ein­zelt hüb­sche Archi­tek­tur­fo­tos, net­te Abbil­dun­gen vom Ver­fall der Bad­lands, aber in mei­ner Wahr­neh­mung fehlt das Beson­de­re. Die­ses Momen­tum von “das wür­de ich auch ger­ne kön­nen”, das ich in Bein­horns Por­trait­fo­to­gra­fie so beacht­lich fin­de. Und das ich auf dem Raw-Foto­fes­ti­val, oder der Brandt-Aus­stel­lung nach­ge­ra­de greif­bar fand.

Über den bri­ti­schen Künst­ler Dami­en Hirst, der mal eine tote Kuh in einem über­le­bens­gro­ßen Aqua­ri­um vol­ler Form­alde­hyd gestellt und dafür auf einer Auk­ti­on über 14 Mil­lio­nen Dol­lar erzielt hat, ist über­lie­fert, dass er mal von einem Besu­cher einer Aus­stel­lung ange­spro­chen wur­de. “I could have done that”, soll der Besu­cher gesagt haben. Hirsts Ant­wort dar­auf sei “Yes, of cour­se. But I did” gewe­sen.

Der Ein­druck von “das hät­te ich auch hin­be­kom­men” umwa­ber­te mich bei mei­nem Besuch der Aus­stel­lung durch­ge­hend.

Und über ein “Yes, of cour­se, but I did” hät­te ich mil­de gelä­chelt.

Auf der Ankün­di­gung zur Schau wird von der Street­fo­to­gra­fie berich­tet und die, zumal kaum vor­han­den, war irri­tie­rend lang­wei­lig. Gera­de die Stra­ßen­fo­to­gra­fie hat, wenn sie gut gemacht ist, das Zeug sozia­le und kul­tu­rel­le Wider­sprü­che auf­zu­zei­gen. Doch getreu Robert Capas “sind dei­ne Fotos nicht gut genug, warst du nicht nah genug dran” sind die Stra­ßen­fo­tos eher lang­wei­lig und von den meis­ter­haf­ten Kom­po­si­tio­nen eines Saul Lei­ter oder den pro­vo­kan­ten Nah­auf­nah­men eines Bruce Gil­den soweit weg, wie ein:e Walmart-Tütenbefüller:in von ame­ri­ka­ni­schen Traum.

Es gibt Auf­nah­men von Autos, klas­si­schen ame­ri­ka­ni­sche Stra­ßen­schlit­ten, die ver­einsamt vor Häu­sern ste­hen.

Gera­de hier­zu gab es erst kürz­lich in der Bre­mer Gale­rie F15 eine Aus­stel­lung des Foto­gra­fen Gerd Lud­wig, der eine gan­ze Serie dazu wahn­sin­nig span­nend abge­lich­tet hat — Autos als Inbe­griff der ame­ri­ka­ni­schen Lebens­wei­se sind also in jedem Fall ein taug­li­ches Motiv. Zumal als Serie foto­gra­fiert.

In der „Ame­ri­can Dreams“-Schau ver­lie­ren sich die Ein­zel­mo­ti­ve der Kraft­fahr­zeu­ge, errei­chen nicht die ästhe­ti­sche Klas­se von Gerd Lud­wig, was auch nicht wei­ter gra­vie­rend wäre, aber auch hier zeigt sich, dass sich Bein­horn vor allem der Rei­se­fo­to­gra­fie gewid­met hat. Der rote Faden fehlt, für mich gab es kein High­light auf der Aus­stel­lung zu sehen.

Ist es Kunst, aus einem Auto zu stei­gen und ein rie­si­ges Wer­be­schild für Elvis’ Grace­land zu foto­gra­fie­ren, das dort mit­ten in der Ein­öde des ame­ri­ka­ni­schen Hin­ter­lan­des steht? Ist es, auch in sei­ner Gesamt­heit, tat­säch­lich Aus­druck stren­ger For­men­spra­che, wenn die unter­schied­li­chen Sujets in ähn­li­cher Form foto­gra­fiert sind? Oder sind das euphe­mis­ti­sche Beschrei­bun­gen um eine net­te Bil­der­schau zumin­dest ein wenig zu über­hö­hen und ihr Legi­ti­mi­tät zu ver­lei­hen?

Grund­sätz­lich suche ich Feh­ler immer zuerst bei mir. Mir wird eine fal­sche Piz­za gelie­fert? Huch, wahr­schein­lich habe ich beim Bestel­len nicht auf­ge­passt. Ich ver­bren­ne mich an einer Tas­se Tee? Huch, dann war ich wohl zu unge­schickt. Ich ver­ste­he auch die ein­fachs­te Bild­spra­che nicht? Kein Wun­der, Bil­dung zählt ver­mut­lich nicht zu mei­nen Stär­ken.

Und wenn es eine Aus­stel­lung gibt, über des­sen Gestal­tung sich der Foto­graf und mut­maß­lich zumin­dest ein paar Mitarbeiter:innen des Muse­ums, die in jedem Fal­le eine aus­rei­chen­de künst­le­ri­sche Vor­bil­dung haben, um die oben erwähn­te “stren­ge For­men­spra­che” des Foto­gra­fen zu for­mu­lie­ren, unter­stel­le ich regel­mä­ßig erst ein­mal, dass ich zu blöd bin, die Genia­li­tät des Gan­zen zu ver­ste­hen, inso­fern mir eine sol­che Aus­stel­lung nicht gefällt.

Mit­hin ste­hen die­ser Bei­trag und sein Urteil unter dem Vor­be­halt mei­nes Man­gels an foto­gra­fi­scher Kennt­nis. Viel­leicht ver­ste­he ich den tie­fen Wert nicht. Viel­leicht bin ich irri­tiert, weil das Muse­um auf sei­ner Web­sei­te schreibt, dass es eine freund­schaft­li­che Ban­de zwi­schen dem Foto­gra­fen und dem Haus gibt. Viel­leicht habe ich den Ein­druck einer Gefäl­lig­keits­leis­tung.

Ganz defi­ni­tiv aber kann ich sagen, dass, soll­te ich mal durch die USA rei­sen und Groß­städ­te wie Hin­ter­land erkun­den, ich einen wun­der­ba­ren Blog­bei­trag dar­aus ver­fas­sen wer­de, eine Aus­stel­lung, auch mit qua­li­ta­tiv ähn­li­chen Fotos, wie jenen im Über­see-Muse­um, käme mir nicht im Traum in den Sinn.

Viel­leicht wür­de ich eine Art Dia-Event für mei­ne Freun­de ver­an­stal­ten und bei einem Glas Wein, fei­nem Käse und lecke­rem Brot für einen gelun­ge­nen Abend sor­gen und das eine oder ande­re gezeig­te Foto bei Insta­gram pos­ten.

Was für eine ange­neh­me Vor­stel­lung.