Im August 2000 reitet Mel Gibson im Film “Der Patriot” in die Schlacht um die Freiheit. Er hält eine Standarte mit zerissenem Sternenbanner und macht auch sicherlich irgendetwas blutiges, weil Mel Gibson es grundsätzlich gerne mag, wenn es blutig ist.
Dreizehn Jahre später sprengen sich nordkoreanische Terroristen den Weg ins Weiße Haus und wieder einmal weht die zerrissene amerikanische Flagge im Wind. Hier rettet Gerald Buttler im erstaunlich unterhaltsamen “Olympus Has Fallen” die Vereinigten Staaten und damit gleich die ganze freie Welt.
Mit Sicherheit gibt es noch weitere Filme, die den zerrissenen Sternenbanner als Ausdruck des zumindest temporären Niedergangs der Weltmacht USA nutzen und so wohnt dem Bild inzwischen ein gewisses Maß an Abgedroschenheit inne.
Ich war folglich einigermaßen überrascht, dass die von einer größeren Plakatkampagne flankierte Fotoausstellung “American Dreams” im Bremer >Übersee-Museum genau dieses Bild als Aufmacher nutzt: Ein Flaggenmast, mittig platziert und in hochkant fotografiert. Dennoch, vielleicht auch gerade deshalb, war ich neugierig, die Bilderschau “American Dreams” des Bremer Fotografen Volker Beinhorn zu sehen.
Die “von der strengen Formensprache des Fotografen geprägten Bilder”, so heißt es auf der Webseite des Museum, würden Widersprüche des American Dream zeigen. Aufgeteilt in die thematischen Gruppen “Architektur im Aufbruch”, “Architektur im Verfall”, “Menschen”, “Landschaften” und “Street Art”.
Frühstück. Partially American.
Zusammen mit meinem Freund Daniel, mit dem ich erst vor ein paar Wochen die Ausstellung “Fake” auf dem >Raw Photo Festival im Künstlerdorf Worpswede besucht habe, habe ich mir dann einen Samstagvormittag reserviert, um der Ausstellung einen Besuch abzustatten.
Da ein gutes Wochenende zunächst mit einem ausgiebigen Frühstück beginnt, sind wir zum Beginn des Tages in den Ableger einer englischen Café-Kette gegangen, die den Eindruck erweckt, als sei sie ein katalanisches Café und Bar, um uns am dortigen Frühstücksbüffet zu laben.
Bei Croissants, Marmelade, Rührei, Billo-Caprese und, natürlich Donuts und Bacon, denn was könnte amerikanischer sein, sind wir gemütlich in den Tag gestartet und haben uns über das Fotografieren, Kameras und fotografische Vorhaben unterhalten.
Insbesondere Daniels sensationelles Instagram-Projekt >bremen.faces, das unbedingt einen Besuch wert ist und mir jedes Mal große Freude bereitet, wenn ich dort reinschaue, sei hier noch einmal erwähnt.
Vom Café aus ging es dann in das Museum, das eine Institution in Bremen ist und dem ich alle paar Jahre mal einen Besuch abstatte.
1896 gegründet war es eines der modernsten Museen seiner Zeit und ist mit dem Anspruch, “die Welt unter einem Dach”, so die Selbstbeschreibung, zu zeigen als Natur‑, Handels- und Völkerkundemuseum an die Öffentlichkeit herangetreten.
Die Dauerausstellung führt durch verschiedene, nach globalen Regionen aufgeteilte Themengebiete und ist durchaus immer mal wieder einen Besuch wert.
Die Ausstellung “American Dreams”
Natürlich sind wir zumindest kurz durch die reguläre Ausstellung gegangen, haben uns das eine oder andere mehr oder weniger verwirrende Exponat angesehen, um dann dann schließlich die Kabinettausstellung zum amerikanischen Traum zu besuchen.
Es waren um die 60 Fotografien ausgestellt, was rein quantitativ schon eine ganze Menge ist. Glaube ich jedenfalls. Mein Erfahrungsschatz in Sachen Fotoausstellungen ist nämlich ehrlicherweise begrenzt.
Neben dem weiter oben erwähnten Besuch beim Raw Photo Festival habe ich mir einmal die Ausstellung eines Fotoclubs im Bremer Stadtteil Vegesack, den ich übrigens auf meinem zweiten >Fotowalk mit meiner Freundin Caro erkundet habt, angesehen. Auf beiden gab es aber deutlich weniger als 60 Bilder zu entdecken.
Und ich bin, das war schon 2016, für eine Fotoschau nach Berlin gefahren. Dort gab es die ausgesprochen sensationellen Fotos der >Inherit the Dust-Serie des britischen Fotografen Nick Brandt zu sehen, eine kaum zweistellige Zahl, aber die unfassbare Reihe war die mehrstündige Reise in einem höchst dubiosen Reisebus allemal wert.
Das Buch zur Ausstellung zählt bis heute zu meinen liebsten Bildbänden.
Im Übersee-Museum werden die Fotos des Bremer Fotografen Volker Beinhorn gezeigt, der eigentlich in der Portrait- und Theaterfotografie zuhause ist und in seinem Fachgebiet ausgesprochen grandiose Fotos zu erstellen vermag.
Da ich mich eher am Beginn meiner fotografischen Laufbahn sehe und, das ist die Idee dieser Webseite, entwickeln möchte, sehe ich immer wieder Fotografien von denen ich sage, dass ich das auch gerne können würde — und Beinhorn gehört definitiv zu den Fotografen, die solche Fotos zaubern. Hashtag Lifegoals.
Die Fotos des “American Dreams” sind auf zwei Reisen Beinhorns durch die USA entstanden, in den Jahren 2016 und 2018. Also vor der Corona-Pandemie und sowohl unter der Präsidentschaft von Obama und Trump. Der politisch-kulturelle Bruch jener Zeit findet sich in den Fotos aber nicht wieder.
Es sind unbestritten angenehm anzusehende Fotos, die das Museum dort zeigt. Ein wenig wie ein Dia-Abend bei einem guten Freund, den man mit einem Glas Wein, feinem Käse und Brot sicherlich als gelungen bezeichnen könnte.
Nur: das Scheitern des American Dream wurde für mein Verständnis nicht abgebildet, Widersprüche sind sicherlich vereinzelt erkennbar — was aber nun auch keine große Kunst ist, wenn man einerseits moderne Glas-Stahl-Paläste in urbaner Umgebung und verfallene Motels irgendwo im Nichts fotografiert und gegeneinander stellt.
Das Gleiche könnte ich auch in meiner Nachbarschaft machen, es würde mich keine zwanzig Minuten kosten und ich hätte kapitalistische Moderne und verarmten Verfall abgebildet.
Auf die Idee, eine Ausstellung über “Paradoxien des urbanen Raums als Ausfluss postkapitalistischer Gentrifizierung” zu veranstalten, würde ich trotzdem niemals kommen. Auch wenn das ein schöner Titel für einen Blogpost wäre.
Und Material für einen guten Beitrag in einem Reiseblog hätte auch die Ausstellung geboten — die Frage ist nur: wozu muss es eine Ausstellung sein? An einem so vergleichsweise prominenten Ort? Von einer im Stadtgebiet überaus sichtbaren Plakatkampagne begleitet? Hätte es nicht auch ein Instagram-Post getan?
Es sind handwerklich gute Fotos, schöne Landschaftsaufnahmen, vereinzelt hübsche Architekturfotos, nette Abbildungen vom Verfall der Badlands, aber in meiner Wahrnehmung fehlt das Besondere. Dieses Momentum von “das würde ich auch gerne können”, das ich in Beinhorns Portraitfotografie so beachtlich finde. Und das ich auf dem Raw-Fotofestival, oder der Brandt-Ausstellung nachgerade greifbar fand.
Über den britischen Künstler Damien Hirst, der mal eine tote Kuh in einem überlebensgroßen Aquarium voller Formaldehyd gestellt und dafür auf einer Auktion über 14 Millionen Dollar erzielt hat, ist überliefert, dass er mal von einem Besucher einer Ausstellung angesprochen wurde. “I could have done that”, soll der Besucher gesagt haben. Hirsts Antwort darauf sei “Yes, of course. But I did” gewesen.
Der Eindruck von “das hätte ich auch hinbekommen” umwaberte mich bei meinem Besuch der Ausstellung durchgehend.
Und über ein “Yes, of course, but I did” hätte ich milde gelächelt.
Auf der Ankündigung zur Schau wird von der Streetfotografie berichtet und die, zumal kaum vorhanden, war irritierend langweilig. Gerade die Straßenfotografie hat, wenn sie gut gemacht ist, das Zeug soziale und kulturelle Widersprüche aufzuzeigen. Doch getreu Robert Capas “sind deine Fotos nicht gut genug, warst du nicht nah genug dran” sind die Straßenfotos eher langweilig und von den meisterhaften Kompositionen eines Saul Leiter oder den provokanten Nahaufnahmen eines Bruce Gilden soweit weg, wie ein:e Walmart-Tütenbefüller:in von amerikanischen Traum.
Es gibt Aufnahmen von Autos, klassischen amerikanische Straßenschlitten, die vereinsamt vor Häusern stehen.
Gerade hierzu gab es erst kürzlich in der Bremer Galerie F15 eine Ausstellung des Fotografen Gerd Ludwig, der eine ganze Serie dazu wahnsinnig spannend abgelichtet hat — Autos als Inbegriff der amerikanischen Lebensweise sind also in jedem Fall ein taugliches Motiv. Zumal als Serie fotografiert.
In der „American Dreams“-Schau verlieren sich die Einzelmotive der Kraftfahrzeuge, erreichen nicht die ästhetische Klasse von Gerd Ludwig, was auch nicht weiter gravierend wäre, aber auch hier zeigt sich, dass sich Beinhorn vor allem der Reisefotografie gewidmet hat. Der rote Faden fehlt, für mich gab es kein Highlight auf der Ausstellung zu sehen.
Ist es Kunst, aus einem Auto zu steigen und ein riesiges Werbeschild für Elvis’ Graceland zu fotografieren, das dort mitten in der Einöde des amerikanischen Hinterlandes steht? Ist es, auch in seiner Gesamtheit, tatsächlich Ausdruck strenger Formensprache, wenn die unterschiedlichen Sujets in ähnlicher Form fotografiert sind? Oder sind das euphemistische Beschreibungen um eine nette Bilderschau zumindest ein wenig zu überhöhen und ihr Legitimität zu verleihen?
Grundsätzlich suche ich Fehler immer zuerst bei mir. Mir wird eine falsche Pizza geliefert? Huch, wahrscheinlich habe ich beim Bestellen nicht aufgepasst. Ich verbrenne mich an einer Tasse Tee? Huch, dann war ich wohl zu ungeschickt. Ich verstehe auch die einfachste Bildsprache nicht? Kein Wunder, Bildung zählt vermutlich nicht zu meinen Stärken.
Und wenn es eine Ausstellung gibt, über dessen Gestaltung sich der Fotograf und mutmaßlich zumindest ein paar Mitarbeiter:innen des Museums, die in jedem Falle eine ausreichende künstlerische Vorbildung haben, um die oben erwähnte “strenge Formensprache” des Fotografen zu formulieren, unterstelle ich regelmäßig erst einmal, dass ich zu blöd bin, die Genialität des Ganzen zu verstehen, insofern mir eine solche Ausstellung nicht gefällt.
Mithin stehen dieser Beitrag und sein Urteil unter dem Vorbehalt meines Mangels an fotografischer Kenntnis. Vielleicht verstehe ich den tiefen Wert nicht. Vielleicht bin ich irritiert, weil das Museum auf seiner Webseite schreibt, dass es eine freundschaftliche Bande zwischen dem Fotografen und dem Haus gibt. Vielleicht habe ich den Eindruck einer Gefälligkeitsleistung.
Ganz definitiv aber kann ich sagen, dass, sollte ich mal durch die USA reisen und Großstädte wie Hinterland erkunden, ich einen wunderbaren Blogbeitrag daraus verfassen werde, eine Ausstellung, auch mit qualitativ ähnlichen Fotos, wie jenen im Übersee-Museum, käme mir nicht im Traum in den Sinn.
Vielleicht würde ich eine Art Dia-Event für meine Freunde veranstalten und bei einem Glas Wein, feinem Käse und leckerem Brot für einen gelungenen Abend sorgen und das eine oder andere gezeigte Foto bei Instagram posten.
Was für eine angenehme Vorstellung.