Mitten im Teufelsmoor gelegen ist das Dorf Worpswede vor allem für seine Künstlerkolonie überregional bekannt.
Paula Modersohn-Becker, Fritz Mackensen, Hans am Ende oder Heinrich Vogeler wussten das besondere Licht in der Gegend bereits im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert zu schätzen und haben hier nicht nur Malerei und Bildhauerei betrieben, sondern der kleinen Gemeinde mit seinen heute rund 1.000 Einwohner:innen zu einem Ruf als Hotspot für Kunstinteressierte in ganz Deutschland zu Popularität verholfen.




Seit 2016 findet in dem hübschen Örtchen die RAW Photo Triennale statt, die nationalen wie internationalen Fotograf:innen ein Forum und seinen Besucher:innen spannende Eindrücke in die zeitgenössische Fotografie bietet.
Mit Daniel, den ich überaus schätze und aus meiner Fotogruppe kenne, hatte ich mich bereits vor ein paar Wochen verabredet, damit wir unseren unbändigen Durst nach Kunst stillen und vor allem einen schönen Nachmittag in der Worpsweder Kunsthalle könnten.

Am frühen Nachmittag haben wir uns getroffen und uns in seinem Auto auf den Weg in die Künstlerkolonie gemacht.
Nachdem wir uns ein wenig umgesehen hatten, war es erst einmal Zeit für eine Stärkung. Zehn Minuten umherlaufen schlaucht halt. Also ab in ein Café und ein Heiß- bzw. Kaltgetränk genießen.

Die Fotoschau ist in die vier Kategorien #Next, #Risk, #Fake und #Ego unterteilt und befasst sich unter dem thematischen Überbau “Turning Point / Turning World” mit den gegenwärtigen virulenten Brüchen in Politik und Gesellschaft.
Die Welt sei an einem Wendepunkt, Umwelt und Gesellschaft sowie technologische Fortschritte stellten das Gemeinwesen vor nie dagewesene Herausforderungen.
In der Ausstellung #Fake, die Daniel und ich uns angesehen haben, ging es um Bildwelten, in denen Wahrhaftigkeit und Fiktion, Authentizität und Fälschung nicht mehr voneinander zu trennen sind.
Besonders zugesagt haben mir dabei die Werke der polnischen Fotografin Weronika Gesicka und des belgischen Fotografen Max Pinckers.




Gesicka hat sich durch öffentlich zugängliche amerikanische Bildbibliotheken gearbeitet und Fotos des “American Way of Life” der vierziger bis sechziger Jahre auf teils humoristische, teil verstörende Weise verfremdet.
Pinckers ist während des letzten Wahlkampfes mit Schauspieler:innen durch die USA gezogen und hat Bilder inszeniert, die von erschütternder Intensität, aber eben nicht authentisch sind. Das linke der beiden Fotos über diesem Absatz (oder das obere, wenn du die Seite auf dem Smartphone ansiehst) insinuiert einen Abschied.
Im Geiste der Politik Donald Trumps entstand bei mir schnell die Vermutung, es könne sich um die Szene einer bevorstehenden Abschiebung aus dem “land of the free” halten. Tatsächlich aber umarmen sich da zwei Schauspieler:innen.
Ich bin übrigens der Meinung, dem Foto in einer Zeitschrift, oder einer anderen Ausstellung schon einmal begegnet zu sein.
Durchaus hilfreich war, dass einer der Kuratoren der Triennale, Wolfgang Zuborn, durch die Ausstellung geführt und die Fotografien künstlerisch wie technisch eingeordnet hat.

Zuborn ist Inhaber der Kölner Galerie Lichtblick und lehrt Fotografie unter anderem in Berlin, Bremen und Florenz.
Am meisten fasziniert hat mich aber das Publikum. Prädominant alt und weiß, bildungsbürgerlich und von so unglaublich dünkelhafter Selbstreferenz, dass Loriot einen ganzen Spielfilm aus den all den kleinen Momenten, die sich dort ergeben haben, hätte drehen können.
Da war diese Frau, die voller Mitteilungsbedürfnis erklärte, dass sie nun zwei eher abstrakte Fotos interpretiert habe, als sei Interpretation ein definitiver und abschließender Prozess.
Da war der alte weiße Mann, der nicht zur Führung gehörte und sich in lächerlicher Weise echauffierte, dass in der Ausstellung gesprochen wird — obwohl das Setting klar erkennbar war. Eine Person steht vor einer Gruppe und doziert — what the fuck hätte das sonst sein sollen? Ein Kaffeekranz mit Monolog?
Da ich ein kleines Konsumopfer bin, mussten wir nach dem Besuch der Ausstellung natürlich noch im Museumsshop vorbeischauen und ich habe mir direkt ein kleines Büchlein gekauft. “Das perfekte Foto” von Paul Lowe heißt es und wenn meine Fotografien in der nächsten Zeit nicht zumindest annähernd perfekt sind, habe ich es entweder nicht gelesen, nicht verstanden — oder der Titel war gelogen.
Die freundliche Mitarbeiterin im Shop wies uns dann hoch auf eine Freilichtausstellung über “Milieubilder aus Norddeutschland” hin, die wir kostenlos besuchen könnten und die nur wenige Gehminuten auf einer Freifläche in einem kleinen Wäldchen zu sehen sei.
Da wir zwar etwas Essen gehen wollten, aber noch ausreichend Zeit hatten, haben wir uns die Ausstellung ebenfalls angesehen.




Zum Abschluss des Tages sind Daniel und ich dann noch in einen nahegelegenen Gasthof gefahren, um den Abend bei einem netten Abend ausklingen zu lassen. Die Spezialität dort ist das Essen vom heißen Stein, bei dem verschiedene Sorten Fleisch serviert werden, die dann selbst gebraten werden können. Und, nun gut, sollten.




Zudem konnte Daniel sowohl im Rahmen der Ausstellung, als auch beim Restaurantbesuch zwei hervorragende Portraits für sein unglaublich sehenswertes Instagram-Projekt >bremen.faces erstellen. Dafür spricht er ihm unbekannte, aber interessante Menschen an, denen er im öffentlichen Raum begegnet und fragt, ob er ein Portrait von Ihnen erstellen dürfe. Dabei sind schon jetzt so tolle Fotografien entstanden, dass du der Seite unbedingt mal einen Besuch abstatten und natürlich gleich ein Abo und “gefällt mir” vergeben könntest.




Am Ende des Tages steht das Fazit, dass es unbestritten ein riesiges Glück ist, dass sich eine solch interessante und relevante Fotoschau vor den Toren Bremens etabliert hat. Bei der Führung waren auch Besucher:innen aus Hamburg und Wuppertal anwesend, was zeigt, welche Strahlkraft das relativ junge Fotofestival bereits jetzt hat — und so freue ich mich wahnsinnig auf die nächste Auflage der Raw Photo Triennale, die dann 2025 stattfinden dürfte.