Sicherlich kennst du dieses Gefühl, das sich manchmal vor Parties einschleicht: so richtig große Lust hast du gar nicht und hoffst bei jeder Vibration oder jedem Klingeln deines iPhone, dass dir irgendwer absagt, damit du es selbst nicht tun musst und einen guten Grund hast, zuhause zu bleiben.
Wie sich zum Abschluss meines dritten Fotowalks mit Caro, mit der ich übrigens liebend gerne fotografieren gehe, herausstellen sollte, hatten wir beide unmittelbar vor dem gemeinsamen fotografischen Spaziergang die Hoffnung, dass der jeweils andere absagen würde. Böse drum wären wir beide nicht gewesen.
Nachdem Caro und ich uns bereits >Teile des Überseequartiers, sowie der >Stadtteile Vegesack und Blumenthal erschlossen hatten, wollten wir uns bei einem nächtlichen Gang der Bremer Innenstadt widmen. So ist das Rathaus ein unfassbar schönes Motiv, gerade wenn es zu später Stunde beleuchtet wird.
Das Bauwerk, dessen Bau 1405 abgeschlossen wurde, gehört zusammen mit der davor stehenden Roland-Statue zum Weltkulturerbe der UNESCO. Kleiner Fun-Fact am Rande.
Nun fand ausgerechnet an jenem Wochenende, da wir unseren Walk unternehmen wollten, das jährliche Straßenfestival “La Strada” statt, an dem Gaukler:innen, Jongleur:innen und Musiker:innen ihr Können zum Besten geben und das Publikum zum Staunen bringen.
Zwar stand, im Vergleich zu anderen Jahren, keine Bühne auf dem Marktplatz vor dem Rathaus, aber ein Info-Häuschen versperrte die Sicht auf das Gebäude, so dass eines unserer geplanten Motive von vornherein wegfallen sollte.
Es macht aber unbestritten auch so riesig Spaß, eigene Ecken der Innenstadt, durch die ich sonst eher hetze als schlendere, langsam zu erkunden und sich neue Motive und unbekannte Ecken zu erschließen. Entschleunigung wäre so ein passendes Buzzword der Postmoderne.
Nachdem wir einen kurzen Abstecher durch die historische Böttcherstraße gemacht und ich mich mit einer Dose Red Bull versorgt hatte, sind wir in das ebenfalls historische Schnoor-Viertel weitergezogen.
Der Schnoor, auf Hochdeutsch “die Schnur”, ist das älteste Stadtviertel Bremens und durch kleine Gassen geprägt, die laut New York Post zu den coolsten Straßen der Welt zählen.
Restaurants und kleine Geschäfte, aber auch das “Hochzeitshaus”, ein kleines Gebäude, das von Brautpaaren gemietet werden kann, machen den charmanten Charakter des Viertels aus.
Tagsüber ist der Schnoor zumeist überlaufen und weitgehend in der Hand von Tourist:innen. Am Abend leeren sich die Gassen aber zusehends und so blieb uns ausreichend Platz und Zeit, zum Fotografieren.
Mit der nötigen Zeit und Ruhe konnte ich auch Motive entdecken, an denen ich sonst blind vorbeigelaufen wäre und bei netten Gesprächen mit Caro verging die Zeit im Schnoor wie im Fluge.
Dem Umstand, dass der Stadtstaat Bremen das kleinste Bundesland ist, ist auch immanent, dass die Wege von der Innenstadt zu den kleinen Sehenswürdigkeiten, die es hier so gibt, recht kurz sind.
Und so führte unser Spaziergang aus dem Schnoorviertel wieder zurück in das Stadtzentrum, vorbei am historischen Gerichtsgebäude und dann in Richtung Marktplatz.
Ich hatte natürlich ein Stativ dabei, das ich sogar einmal ausgepackt und für ein Foto genutzt habe. Ich werde die Pein, die mit dem Herumschleppen eines Stativs einhergeht, vermutlich nie völlig erfassen können.
Im Grunde ist es schnell aufgebaut, mein Stativ ist zudem relativ leicht und durchaus komfortabel an der Kameratasche zu tragen. Aber ich finde es so überaus lästig, das Ding aufzustellen, die Kamera zu montieren, auszurichten, dann die Kamera wieder abzunehmen, das Stativ zusammenzuschieben und durch die Gegend zu tragen, dass ich das Dreibein zwar oft mit mir herumtrage, aber nur ausgesprochen selten nutze.
Und es funktioniert auch so — obwohl weder meine Kamera, noch mein Objektiv über einen eingebauten Bildstabilisator verfügen. Das Bild von der McDonald’s‑Filiale ist mit einer recht langen Belichtungszeit von einer dreißigstel Sekunde aus der freien Hand entstanden.
Und wenngleich meine kleine, feine aber langsam auch betagte Kamera keinen stabilisierten Sensor, der die Bewegung der Hand ausgleicht, hat, verfügt sie über eine gute Serienbildfunktion — und so habe ich nach dem Motto “spray and pray” einfach ordentlich draufgehalten und so von eigentlich jedem Motiv auch ein scharfes Foto bekommen.
Unser fotografischer Spaziergang hatte übrigens den für mich großen Vorteil, dass Caro vor ein paar Monaten einen Workshop bei Pavel Kaplun besucht hat.
Kaplun ist Fotograf und Photoshopper und jedenfalls in der Hobbyfotograf:innenszene wohlbekannt. Bei dem Seminar, das sie besucht hatte, ging es um Stadtfotografie — und die Veranstaltung wurde in Bremen abgehalten, so dass sie mir noch einiges an Informationen mitgeben konnte.
Ich bin mir tatsächlich nicht ganz sicher, ob ich beim Foto des Doms im Sinne der Kaplun’schen Fotografie alles richtig gemacht habe, aber oh boy, ich mag das Foto!
Als wir dann vom Dom zum gegenüberliegenden Marktplatz gegangen sind, konnten wir eine kleine, ehrlicherweise erzwungene Pause machen.
Meine geniale Technik, meine Bilder im Dauerfeuer zu erstellen, ging mit dem Preis einher, dass meine Speicherkarte plötzlich voll war. Und ich wollte die vor dem Walk noch formatiert haben.
Leider ist mir kein Weg bekannt, bei meiner Kamera Bilder nach Datum zu löschen und so musste ich die Fotos, die ich von der Speicherkarte verbannt haben wollte, einzeln auswählen. Immerhin hatte ich im Anschluss wieder vierhundert Fotos auf der Karte frei, unnötig war es trotzdem — und langwierig, trotz einer durchaus schnellen Speicherkarte.
Immerhin war das Löschen der Fotos von der Speicherkarte durch einen Marktplatz-David-Garrett von angenehmer Hintergrundmusik hinterlegt.
Zu einem guten touristischen Gang durch Bremen gehört natürlich auch ein Abstecher zur Skulptur der Bremer Stadtmusikanten. Die von Gerhard Marcks geschaffene Bronzeplastik steht auf der Westseite des Rathauses und das auch erst seit 1953.
Ich bin übrigens unzählige Male von Besucher:innen angesprochen worden, die nach den Stadtmusikanten gesucht haben. Das Abbild ist, ohne den Sockel, auf dem es steht, nämlich lediglich zwei Meter groß und wird gerne übersehen.
Und trotz der nächtlichen Stunde war es gar nicht so leicht mal einen Moment zu erwischen, an dem nicht irgendjemand eines der Beine des Esels berührt hat. Das Berühren beider Beine gilt als Glücksbringer, allerdings fassen die meisten Menschen nur eines der Beine an. Das gilt in Bremen als Unsitte, in diesem Falle, so sagt man in der Hansestadt, gibt ein Esel dem anderen die Hand.
Allmählich neigte sich unser dritter Fotowalk dem Ende entgegen. Wir haben uns in Richtung des westlichen Endes der Innenstadt aufgemacht, um von dort an der Weser in Richtung Überseestadt zu spazieren.
Unterwegs kam ich dann allerdings an einem Spiegel, der im Schaufenster eines Kaufhauses stand, nicht vorbei und musste kurz ein Selfie machen.
Auf unserem weiteren Weg kamen wir an einem Mülleimer vorbei, der ein eigenes Fach für Zigarettenreste hat. Jemand hatte wohl seine glühende Kippe dort herein geworfen und den ganzen darin liegenden Bums zum Glühen gebracht. Abgesehen davon, dass es bestialisch gestunken hat, war der aus der kleinen Öffnung kommende Qualm ein Motiv, das in meiner Vorstellung viel besser aussah, als es das tatsächlich tat.
Während wir weiter Richtung Überseestadt gingen, überkam mich das dringende Verlangen nach einer Toilette. Erfreulicherweise arbeitet Chanti, mit der ich den jetzt schon legendären >rosa Shoot und die >Portraits mit Lichterkette fotografiert habe, nebenberuflich in einer Kneipe, die auf unserem Weg lag.
Faktisch endete unser Gang dann auch dort, denn wir nutzten die Gelegenheit, noch ein Getränk zu uns zu nehmen — und da Chanti ohnehin kurze Zeit später in den Feierabend gehen wollte und sie in unmittelbarer Nähe zu Caro und mir wohnt, sind wir gemeinsam nach Hause gegangen.
Bevor sich unsere Wege trennten, gestanden Caro und ich uns, was ich zu Beginn des Beitrags erwähnt hatte: dass wir beide nur mäßig Lust gehabt hätten, den Gang überhaupt in Angriff zu nehmen und insgeheim darauf gehofft hatten, dass die jeweils andere den Walk absagen würde.
Aber wie auch die Parties, auf die man keine Lust zu gehen hat, aber dann eben doch besucht, oft die besten sind, war auch der Fotowalk erneut ein großes Vergnügen.
Und ich bin gespannt, wohin uns der vierte Walk führen wird. Bremen hat, obwohl lütsch, also klein, einige wunderschöne Ecken zu entdecken. An Motiven wird es uns also auch in Zukunft nicht fehlen.