Der Begriff Portrait entstammt den lateinischen pro-trahere und bedeutet sinngemäß “hervorziehen”. Im Kern ist es die Darstellung einer oder mehrerer bestimmter Personen.
Ich mag die Portraitfotografie und habe mit Chanti, die nicht nur meine liebste Freundin, sondern auch ein geniales Model ist, bereits den >einen oder >anderen Portraitshoot veranstaltet.
Besonderes interessant finde ich ein Portrait immer dann, wenn es mehr ist, als nur ein schönes Foto und auch ein wenig die Persönlichkeit der Person widerspiegelt, die abgebildet wird. Was mir in ihrem Falle relativ leicht fällt, denn es gibt nur wenige Menschen auf der Welt, die ich so gut kenne und denen so sehr vertraue.
I BELIEVE IN PINK
Nun hat Chanti ein unbestreitbares Faible für alles, das rosa ist. Seien es Sneaker, Haarbürsten, Pillendosen oder gar ihr Bett: ist es rosa, ist es gut.
Insbesondere auf Menschen die sie nicht kennen, hat sie eine durchaus ambivalente Außenwirkung. Einerseits ein wenig Girlie, andererseits toughe Powerfrau. Tatsächlich ist sie deutlich facettenreicher, aber die ganze Komplexität ihrer Persönlichkeit kann und in diesem Fall soll ein Foto auch gar nicht abbilden.
Aber die genannten Aspekte Girlie und Powerfrau wollte ich gerne in einem Foto zusammenbringen und so entstand, zusammen mit ihr, irgendwie die Idee, dass wir sie in einem rosafarbenen Raum fotografieren könnten. Auf einem rosafarbenen Hocker, der auf einem Teppich in rosa steht. Rosa Blumen, eine rosa Flasche, oder rosa Kaugummis sollten als Dekoration dienen.
Um diesen, je nach Perspektive, Traum oder Albtraum in rosa zu konterkarieren, war meine Idee, eine Puppe mit rosafarbenen Haaren zu beschaffen, der Chanti den Kopf abreißen und dabei ein wenig psychopathisch in die Kamera gucken sollte.
Sehr zu meinem Glück hat Chanti einen fabelhaften Humor und kann extrem gut über sich selbst lachen — und so war die Idee geboren, die wir ein paar Wochen später in die Tat umsetzen wollten.
Als Studio musste mein Wohnzimmer herhalten und meine Motivation, den Raum rosa zu streichen, war eher gering. Deshalb habe ich Gardinen, Glitzervorhänge und diverses Dekorationsmaterial in rosa bestellt und in ein paar Stunden einen durchaus rosafarbenen Raum im Raum gebaut.
Am frühen Nachmittag traf Chanti, nachdem sie noch eine kleine Odyssee durch die Bremer Innenstadt erleben musste, bei mir ein.
Zunächst einmal stand dann natürlich eine kurze Phase der Erholung an. Bei einem kühlen Bier saßen wir zusammen und haben uns über die vor uns liegende Fotografie ausgetauscht.
Meine Bildidee hatte sich dahingehend erweitert, dass ich ihr noch ein hellblaues Hemd von mir geben und zunächst darin fotografieren wollte.
Chanti hatte selbst auch noch einige Outfits dabei und nach dem kurzen Ankommen konnte sie sich dann daran machen, sich zu schminken. Was sie übrigens perfekt beherrscht und für mich den großen Charme hat, dass ich mir über einen Make Up-Artist keinerlei Gedanken machen muss: sie macht das ohnehin mindestens so gut, wie jeder Profi.
Von Tageslicht, Schuss und Gegenschuss
Mein Wohnzimmer hat eine große Fensterfront mit Südlage und wir hatten riesiges Glück mit dem Wetter. Es war leicht bewölkt, aber durchaus hell. Und so konnten wir den ersten Teil unseres gemeinsamen Fotoabends zunächst bei natürlichem Licht fotografieren.
Wenn du den Blog aufmerksam gelesen hast, wird dir nicht entgangen sein, das Chanti und ich bis vor ein paar Monaten zusammengearbeitet haben. Und abgesehen davon, dass wir eigentlich immer eine Menge Spaß zusammen hatten, mochte ich vor allem, dass wir uns blind verstanden haben und ein ausgeprägtes Gespür für die Bedürfnisse des jeweils anderen hatten.
Eben dieses blinde Verständnis hat sich auch auf die Fotografie übertragen, was einer der Gründe ist, weswegen ich so unglaublich gerne mit Chanti als Model arbeite. Und auch die gemeinsame Freude an der Sache kommt eigentlich nie zu kurz und steht letztlich sogar im Vordergrund.
Wenngleich mein Wohnzimmer, also der rosa Raum, eine charmante Lage hat, ist es nicht riesig. Zwar konnte ich dort bislang alle Fotos umsetzen, die ich mir vorgestellt hatte und auch für neue Ideen, die sich bei einem solchen Shoot immer entwickeln, war stets ausreichend Raum vorhanden.
Nur musste ich hin- und wieder improvisieren. So waren mir die oben gezeigten Bilder nur möglich, weil ich auf dem Balkon lag, um zu fotografieren. Sehr zu Chantis Freude — denn sie hatte ihr iPhone immer griffbereit und keine Scheu, auch in für mich unglücklichen Situationen zwischendurch ein Making Of-Foto zu machen. Im filmischen Kontext könnte man sogar von Schuss und Gegenschuss reden, bei dem die Kamera zunächst auf Protagonistin 1 und anschließend Protagonist 2 gerichtet ist.
Wie erwähnt haben wir ein sehr gutes Verhältnis zueinander und so gibt es die unausgesprochene Übereinkunft, dass Situationen, die für die jeweils andere eher misslich aussehen, zwingend festgehalten werden müssen.
Inzwischen wurde es allmählich dunkel, Hunger kam auf und ich habe Chanti als kleines Dankeschön zum Essen eingeladen. Was ja nun auch das Mindeste war, das ich tun konnte.
Bei frittierten Hähnchenteilen, Burgern und Fritten haben wir uns in den spärlichen Raum gezwängt, der im Wohnzimmer noch frei war und während sie sich ein wenig erholen und umziehen konnte, habe ich im Anschluss den rosafarbenen Raum umgebaut, um 180 Grad gedreht und den bisherigen Glitzer-Hintergrund durch einen eher matten rosafarbenen Vorhang ersetzt.
Sehr zu unserer Freude gesellte sich auch noch Caro zu uns. Caro war unsere Vorgesetzte, als ich noch mit Chanti zusammengearbeitet habe und ich war bereits >hier, oder >dort mit ihr fotografieren und freue mich sehr, dass sie mittlerweile ebenfalls zu meinen engsten Freundinnen zählt.
Neben tollen Ideen, die Caro einbrachte, war sie mir auch eine wichtige Stütze, denn sie war eine sehr hilfreiche Assistentin und hat mir das Fotografieren erheblich erleichtert.
Wir befanden uns durchaus in einem kreativen Flow, die Bilder schienen sich geradezu von alleine zu entwickeln. Wie das nachfolgende Foto mit einer, natürlich, rosanen Hello Kitty-Plüschfigur.
Die fast kopflose Puppe mit den rosa Haaren.
Es wurde zusehends spät und damit wurde es allmählich Zeit, dass wir uns an das eigentlich geplante Foto machen würden. Chanti sollte der Puppe den Kopf abreißen und dabei auf ziemlich krasse bitch machen.
Die Herausforderung bestand dann aber zunächst einmal darin, den Kopf der Puppe abzubekommen.
Ich weiß nicht mehr, von welchem Hersteller die Puppe war — aber sie dürfte auch wildes Spielen gut überstehen. Letztlich musste Chanti den Körper festhalten und ich mich, den Kopf der Puppe haltend, mit meinem Körpergewicht in die Gegenrichtung lehnen, damit wir überhaupt die sicherlich etwas makabre Grundlage für das geplante Foto schaffen konnten.
und Chanti. Auch mit rosa Haaren.
Meine Gefühlswelt schwankte irgendwo zwischen purer Begeisterung und blankem Entsetzen, als Chanti mir ein paar Tage vor der Foto-Session vorschlug, dass sie sich ja auch die Haare rosa färben könne.
Aber ich fand das Angebot so unfassbar verrückt, dass ich es unmöglich ausschlagen konnte. Also habe ich kurzerhand eine Dose rosa Haartönung bestellt, die Caro Chanti am späten Abend auf meinem Balkon in die Haare sprühte.
Damit Chantis Klamotten nicht schmutzig würden, haben wir ihr in Ermangelung einer passenden Alternative einen gelben Sack übergestülpt und alleine dieser Teil des Abends war pures Gold.
Und tatsächlich gaben die pinken Haare dem Setting der krassen Psycho-Braut, die eine Puppe enthauptet, den letzten Schliff.
Chanti mit ihren rosa Haaren, die eine Puppe zu schminken scheint und dabei Kaugummiblasen pustet. Chanti, die mit einer rosa Retro-Brille den Kopf der Puppe hält und eine Zigarette raucht — ich liebe alles an diesen Fotos. Irgendein Bild aus der Reihe wird auch noch gedruckt und Teil einer kleinen Galerie, die ich mir in meine Wohnung hängen werde.
Chanti doesn’t owe you pretty
Bei einem Bummel durch die Innenstadt, den ich ein paar Tage vor dem Fotografieren unternommen hatte, habe ich ein kleines Büchlein entdeckt, das mir zunächst vor allem deswegen auffiel, weil es rosa war.
Tatsächlich handelt es sich bei “Women Don’t Owe You Pretty” um eine Streitschrift, eine Kampfansage an das Patriarchat und ich mochte den Bruch, der sich aus dem Titel des Buches einerseits und meinem Model, die ja nun viel mehr als nur, vordergründig aber eben natürlich auch, sehr pretty ist.
Nun gut, in diesem Zusammenhang erinnere ich mich an das Zitat von Goethe, wonach man, wenn man die Absicht merke, entsetzt sei. Aber hey, mehr Meta-Ebene ist bei mir nicht drin.
MIT DEM iPHONE FOTOGRAFIEREN? WARUM NICHT?
Kurz vor der “Pretty in Pink”-Session hat sich Chanti ein neues iPhone gekauft, das aktuelle Spitzenmodell 14 Pro Max. Und sie hat sehr von der Kamera geschwärmt, die das Apple-Smartphone eingebaut hat.
Persönlich bin ich bei Smartphones und Fotografie immer etwas zurückhaltend — sicherlich, so meine Erfahrung, sind die Telefone nicht schlecht. In Anbetracht ihrer Begeisterung habe ich dann direkt ein paar Bilder mit dem iPhone gemacht und bin bis heute völlig baff, wie unglaublich gut die Kameras in den Geräten mittlerweile geworden sind.
bildauswahl und Bearbeitung
Insgesamt sind rund 1.200 Fotos entstanden — von denen knapp 400 in die finale Auswahl kamen.
Ich war kürzlich an einer kleinen Diskussion auf Instagram beteiligt, in der es darum ging, ob die Fotos, die von einem Model gemacht werden, diesem eigentlich gefallen müssten — oder ob der Fotograf die alleinige Hoheit über die zu veröffentlichenden Bilder hätte.
Da ich nicht professionell fotografiere, die Bilder für keinen Kunden sind und Chanti keine Gage erhält, bin ich im Übrigen absolut der Überzeugung, dass die Fotos, die ich veröffentliche, meinem Model auch zu gefallen haben — welchen Wert hätte das sonst auch? Am Ende ist, in diesem Falle, Chanti meine wichtigste Adressatin und ich mache die Fotos nicht nur für mich, sondern in gleichem Maße auch für sie.
Von den 400 ausgewählten Fotos habe ich dann etwas über 60 bearbeitet. Und den Bearbeitungsprozess sollte ich völlig unterschätzen.
Ich habe an irgendeiner Stelle im Blog mal erwähnt, dass ich kein großer Freund von Photoshop bin. Ich nutze die Software, kann ‑oder präziser: konnte- sie aber kaum bedienen.
Einen Pickel entfernen bekomme ich hin — das ist auch nur ein Klick. Und eine Beauty-Retusche, die in Anbetracht von Chantis immensen Schminkfähigkeiten ohnehin kaum nötig ist, lasse ich von einer KI erledigen.
Es gab jedoch zunächst nur eine Kleinigkeit, die ich mit bei mehreren Bildern entfernt haben wollte — und keine Ahnung hatte, wie ich das bewerkstelligen könnte.
Workshop mit Caro
Zum Glück habe ich mit Caro eine sehr kompetente Ansprechpartnerin in Sachen Photoshop. Ich kenne niemanden, der die Software so gut beherrscht, wie sie und so kam ich in das Vergnügen eines Photoshop-Crashkurses, den wir ein paar Tage nach dem Shoot bei ihr veranstaltet haben.
Dabei zeigte Caro mir einige Funktionen, die ich gar nicht auf dem Zettel hatte. Das Entfernen bestimmter Bildelemente, das Nachschärfen der Augen — und plötzlich war ich von den Möglichkeiten, die mir die Bildbearbeitungs-Software bot, begeistert.
Genau genommen war ich zunächst im Negativen überwältigt, denn ich hatte die Fotos bereits zu 80% bearbeitet und musste nun ganz von vorne anfangen.
Abschließend habe ich im Rahmen des Projekts so viel über Photoshop gelernt, dass alleine dieser Teil ‑neben dem Erstellen der für mich wirklich tollen Fotos- den Aufwand wert war.
Das Foto oben zeigt beispielhaft, was ich an vielen Bildern gemacht habe:
- Auf der linken Bildseite den Glitzervorhang verlängert, damit er bis zum Bildrand reicht
- Den Hintergrund ein wenig digital gebügelt, damit nicht zu viele Falten im Vorhang zu sehen sind
- Die erwähnte Beauty-Retusche per K.I.
- Chantis Augen gezielt geschärft
- Zigarettenqualm eingefügt
So habe ich zwar wesentlich länger an der Bearbeitung der Bilder gesessen, als üblich — zu meiner großen Schande hat Chanti zwischendurch sogar nachgehakt, wie der aktuelle Bearbeitungsstand sei. Gleichzeitig kann ich aber mit einiger Freude sagen, dass der Rosa-Shoot mein bisher nicht nur größtes und teuerstes, sondern vor allem auch lehrreichstes und bestes Fotoprojekt war.
Ich bin selten stolz auf die Dinge, die ich mache. Egal wie gut sie sind. Aber dieses wunderbare Gefühl wabert mit dem Abschluss der Bildbearbeitung um mich.
Abschließend gebührt mein Dank an dieser Stelle vor allem natürlich Chanti, die sich bis in die Nacht Zeit genommen und sich fotografieren lassen hat. Sie hat zwar schon ein paar Mal, aber auch nicht wahnsinnig oft vor der Kamera gestanden und macht ihren Teil der Arbeit so unglaublich souverän, dass ich jedes Mal begeistert bin und mir kein Model vorstellen kann, mit dem ich besser fotografieren und mehr Spaß haben könnte.
Und natürlich bin ich auch Caro höchst dankbar — ohne sie wären die Bilder zwar sicherlich gut geworden, mit ihrer Unterstützung und ihren Impulsen, konnte ich die Fotos auf eine für mich noch einmal völlig neue Ebene ziehen.
Auf meinem iPhone habe inzwischen einiges an Bildideen gespeichert — und ich bin selbst sehr gespannt, welches das nächste große Projekt sein wird. Liebend gerne wieder mit Chanti. Aber für die kommenden Tage freue ich mich auch, dass ich Photoshop keines größeren Blickes würdigen werde.