Vom fotografischen Blick, der nie einer war
Irgendwann in der ausgehenden ersten Dekade dieses Jahrtausends habe ich mir meine erste digitale Kamera gekauft. Nichts aufregendes, eine Canon Ixus. Mit superkleinem Sensor, Dreifachzoom, aber ehrlicherweise beeindruckend lichtstarkem Objektiv.
Vor allem hatte ich die Kamera gekauft, weil man das damals eben so machte. Ich war Mitte zwanzig — und auch, wenn das erste iPhone gerade auf den Markt kam, galt: wer richtig fotografieren möchte, kauft sich kein Telefon, sondern eine Kamera.
Mit meiner Ixus, die noch heute in meinem Schrank steht, bin ich dann losgezogen. In den Urlaub und auf Ausflüge. Und irgendwann attestierte mir jemand den legendären fotografischen Blick. Ich müsse das mit der Fotografie unbedingt intensivieren, da sei Talent erkennbar.
Unbestritten waren die freundlichen Worte nett gemeint. Und so verließ ich mich auf meine natürliche Genialität und hielt mich für den aufsteigenden Stern am Himmel von National Geographic, Vogue und Playboy.
Natürlich braucht ein aufstrebendes Spätjungtalent eine vernünftige Kameraausrüstung und so wurde die Canon Ixus bald durch eine echte digitale Spiegelreflexkamera ersetzt. Dieses Mal eine Nikon, Modell D5000. Und damit begann dann irgendwie das eigentliche Drama.
Ich musste plötzlich feststellen, dass es mit dem Talent gar nicht so weit her war. Um nicht zu sagen: da war überhaupt kein Talent vorhanden. In der Rückschau betrachtet ist das auch nicht weiter schlimm. Fotografie ist zunächst ein Handwerk und jedes Handwerk ist erlernbar. Zudem gilt grundsätzlich, dass harte Arbeit Talent immer schlagen wird. Nur: auf harte Arbeit hatte ich gar nicht so wahnsinnig große Lust.
Erfreulicherweise begann ich zu jener Zeit zu fotografieren, als das Thema gerade ein kleiner Hype war und die heute großen YouTube-Fotografen ihre ersten Schritte gingen. Benjamin Jaworskyj, Patrick Ludolph, Stephan Wiesner, Martin Krolop und wie sie alle heißen. Die haben mir zu erklären versucht, was es mit dieser aufregenden manuellen Belichtung auf sich hat und so verbrachte ich Abend um Abend vor dem Fernseher, um zu erfahren, was das Belichtungsdreieck ist (habe ich offen gestanden bis heute nur so bedingt kapiert und es interessiert mich, ebenfalls offen gestanden, auch gar nicht so sehr), oder was Tiefen- oder Bewegungsunschärfe ausmacht. Solltest du noch nicht besonders fortgeschritten in der Fotografie sein und jetzt nur Bahnhof verstanden haben: Macht nichts, so ging es mir ja auch.
Mit dem intensiven YouTube-workshopping hatte ich das gute Gefühl, wirklich an meinen fotografischen Fähigkeiten zu arbeiten — und konnte gleichzeitig die Abende auf dem Sofa verbringen. Vielleicht hätte ich stattdessen aber lieber rausgehen und die Sache üben sollen. “Nicht glauben, ausprobieren” ist nicht grundlos eine Aufforderung eines der oben genannten YouTube-Fotografen.
Nachdem ich im Laufe der Jahre sehr viel Zeit mit YouTube und sehr wenig Zeit mit Fotografieren verbracht hatte, kam irgendwann doch ein gewisser Flow in meinen fotografischen Alltag. Immerhin wusste ich, an welchem Rädchen ich drehen musste, damit ein Bild heller oder dunkler wird. Und an welchem Rädchen ich drehen musste, damit da irgendwie mehr, oder weniger scharfe Bereiche zu erkennen sind. Yay. Da war es also wieder. Das aufstrebende Spätjungtalent, das sicherlich bald National Geographic, Vogue und Playboy mit seiner Fotografie entzücken würde.
Wenn du mal nicht weiterweißt wechsle einfach das System. Mehrmals.
Zunehmend wurde mir aber bewusst, dass ich im Laufe der vergangenen Jahre gar nicht Fotografie, sondern vor allem die Bedienung meiner Kamera gelernt hatte. Also weniger, welcher Knopf mit welcher Funktion sich wo befand — aber die globalen Themen, also vor allem Blende, ISO und Belichtungszeit, eben das Einstellen von mehr oder weniger Schärfe und Helligkeit: ich kannte folglich das Werkzeug, hatte aber eigentlich gar keine Ahnung, was ich damit alles machen könnte. Außer knipsen, natürlich, einfach durch die Gegend laufen und fotografieren, was vor die Linse kam.
Ich betrieb also eigentlich mehr Alltagsdokumentation denn Fotografie. Ästhetische oder bildgestalterische Aspekte spielten in meiner fotografischen Anfangszeit gar keine große Rolle — und ich bin mir bis heute nicht sicher, ob es nicht schön gewesen wäre, genau das beizubehalten. Denn wir alle sind in irgendeiner Form bildsprachlich sozialisiert und so habe ich intuitiv oft das auch das formal Richtige getan. Ganz ohne zu wissen, was diese Fibonacci-Folge ist (eine mathematische Annäherung an eine gute Bildgestaltung. Nur, falls es dich interessiert), gelangen mir irgendwie gute Bilder. Ich konnte halt nur nicht erklären, warum. Und der Ausschuss war groß.
Da ich selbst merkte, dass ich nicht so richtig vorankomme, aber gerne vorankommen wollte, gab es nun ein neues und nur sehr konsequentes Ziel.
Um im Bild mit dem Werkzeug zu bleiben, hatte ich einen Hammer, der tadellos funktionierte und mit dem ich im Vorbeigehen an einer Wand voller Nägel immer wieder mal draufschlug. Also zwischen Abenden auf dem Sofa mit den YouTube-Videos. Hin und wieder traf ich mal glücklich einen Nagel, hin und wieder habe ich einen Nagel schräg in die Wand gehauen. Und statt mich mit der Frage zu befassen, wie ich besser Nägel in die Wand schlage, stand für mich fest: ein neuer Hammer muss her. Oder, um den Bogen wieder zurückzuschlagen: eine neue Kamera.
Da gab es nur eine Option. Falls du fotografischer Laie bist, erkläre ich dir kurz, was es mit den unterschiedlichen Kameratypen auf sich hat. Falls du Vollformat, APS‑C oder Micro-Four-Thirds schon einmal gehört hast, >klicke einfach hier und du springst direkt an die Stelle, an der ich mit der eigentlichen Geschichte fortfahre.
Solltest du an dieser Stelle weiterlesen, möchte ich dich nicht mit zu vielen Details langweilen. Deshalb so kurz wie möglich: auf der technischen Seite gibt es zwei Faktoren, die ein gutes Foto ausmachen: Die Kamera und das Objektiv. Das Objektiv ist dabei tatsächlich der entscheidendere Erfolgsfaktor, die Kamera kommt erst danach. Grundsätzlich empfehle ich bei einem Einstieg in die Fotografie, eher die günstigere Kamera und eher das teurere Objektiv zu kaufen, als umgekehrt.
Bei den Kameras gibt es vor allem ein entscheidendes Bauteil: den Sensor. Das ist jetzt wirklich stark verkürzt wiedergegeben, aber der Einfachheit belassen wir es mal dabei.
Der Sensor ist das, was bei den analogen Kameras der Film war: das lichtempfindliche Material, das am Ende das Foto entstehen lässt. Beim Film war das ganze ein chemischer Vorgang, bei den Digitalkameras wird das Licht in digitale Informationen umgerechnet, die wir dann auf den Displays unserer Kameras oder iPhones sehen können.
Entscheidend für die Qualität eines Fotos ist dabei die Größe des Sensors. Und hier gilt die einfache Regel: je größer, desto besser.
Ist ein Sensor klein, ist die Bildqualität bei schwachem Licht schlechter. Zudem kann man nicht so eine schöne Unschärfe zaubern — du kennst mit Sicherheit die Portraits, in denen das Model scharf abgebildet, der Hintergrund jedoch in Unschärfe verschwunden ist.
Kleine Sensoren findet man vor allem in diesen kleinen Kompaktkameras, die man im Elektronik-Markt für zweihundert Euro kaufen kann — die Bildqualität ist entsprechend schlecht. Als Kamera für die Urlaubsreise, in der man vor allem tagsüber und bei gutem Wetter draußen unterwegs ist, mögen die Kameras reichen — sobald es aber ein wenig dunkler wird, stoßen die schnell an ihre Grenzen.
Ich will nur kurz einwerfen, dass das iPhone, das einen unglaublich kleinen Kamerasensor hat, übrigens hervorragende Fotos macht — das liegt aber vor allem an der Software, die in den Telefonen mit der Kamera gekoppelt ist.
Ich werde nicht im Detail auf jeden Sensortyp eingehen, deshalb der Form halber nur eine kurze Übersicht: Größer als die Sensoren in Kompaktkameras sind sogenannte 1‑Zoll-Sensoren, die auch in Kompaktkameras verbaut sind, die dann aber deutlich teurer sind. Ab der nächsten Größe, dem Micro-Four-Thirds-Sensor, gibt es Kameras an denen man die Objektive wechseln kann. Meine Wahrnehmung zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Beitrags ist aber, dass die Kameras mit Micro-Four-Thirds-Sensoren bald vom Markt verschwinden werden.
Die nächste Größe ist der sogenannte APS-C-Sensor. Die ersten, auch professionellen, digitalen Spiegelreflexkameras hatten so einen Sensor eingebaut. Die Größe ist schon sehr anständig, die Sensoren können in Verbindung mit dem richtigen Objektiv auch bei schwachen Lichtverhältnissen gute Ergebnisse erzielen und diese schönen Unschärfe-Effekt, also Model scharf, Hintergrund unscharf, lassen sich mit diesem Sensor-Typ bereits gut umsetzen.
Kameras mit APS-C-Sensoren gibt es von diversen Herstellern wie Nikon, Canon, Fuji oder Rollei und meine erst Kamera hatte einen solchen Sensor verbaut.
Die nächste Größe und sozusagen der heilige Gral ist das Vollformat. Ein Vollformat-Sensor hat die gleiche Größe, wie sie ein Bild auf einem analogen Film hatte. Die meisten professionellen Fotografen arbeiten mit Vollformat-Kameras. Die Dinger haben, natürlich immer in Verbindung mit dem richtigen Objektiv, eine unglaublich gute Bildqualität, sind fast Nachtsichtgeräte und können diese herrlichen Unschärfe-Effekte sensationell abbilden.
Tatsächlich gibt es sogar noch größere Sensoren in einigen Kameras, da die aber in der Breite keine große Rolle spielen, beende ich die kleine Exkursion in die Welt der Kameratechnik und verrate dir, was für eine Kamera nach der ersten Spiegelreflex kam.
Eine Vollformat musste her. Also das System mit dem großen Sensor. Es konnte ja unmöglich an mir liegen, dass sich meine Fotografie nicht entwickelte, sondern musste ausschließlich der Kamera geschuldet sein.
Und so lag dann ein paar Monate später tatsächlich eine Vollformat-Kamera unter dem Weihnachtsbaum.
Begeistert durch die neue Technik bin ich dann tatsächlich doch ein wenig häufiger fotografieren gegangen — zwar immer noch wie ein Berserker wild um mich fotografierend, aber zunehmend souveräner. Ich begann zu verstehen, dass gar nicht die Bedienung der Kamera ein Problem ist, sondern der ganze künstlerische Teil, der am Ende ein gutes Foto ausmacht: Bildkomposition, Kontraste, Sujet usw.
Und so begann ich, wenn auch sehr langsam, verstärkt zielorientiert zu fotografieren. Es folgten erste Hochzeiten und Events. Meine Fotos wurden ganz langsam ein klein wenig besser. Zeitweise war die Vogelfotografie übrigens eine Art Hobby im Hobby. Dabei hasse ich Vögel. Aber zu dem Thema schreibe ich mal einen eigenen Blog-Artikel.
Was mich am neuen System aber gehörig störte, war das Gewicht: eine Vollformat-Kamera ist in der Regel deutlich schwerer, als die Pendants mit dem kleineren Sensor — und die Objektive sind ebenfalls größer und vor allem schwerer. Einfach mal so die Kamera mitnehmen, fiel mir zunehmend schwer.
Dazu kam dann noch die Bildbearbeitung. Die ganzen YouTube-Experten sprachen ja immer von der Bildbearbeitung und dass das fertige Foto erst am Computer entstünde.
So ein Foto kommt, sehr vereinfacht gesagt, nicht fertig aus der Kamera. Es muss, wie ein analoges negativ, erst entwickelt werden. Dafür benötigt es spezielle Software und auch da musste ich mich einarbeiten.
Wenn du dich an den Anfang erinnerst, habe ich dir gesagt, dass harte Arbeit Talent immer schlagen wird — ich auf harte Arbeit aber ja so gar keine große Lust hatte — das galt dann auch für die Bildbearbeitung. Ich kam erneut nur sehr langsam voran, so richtig genial, wenn auch besser als noch in der Anfangszeit, waren die meisten meiner Fotos dabei auch nicht. Und wieder einmal war ich ein wenig frustriert mit meinem Leben als Fotograf.
Natürlich habe ich ein kleines Vermögen für Video-Workshops ausgegeben, mit denen ich lernen wollte, wie man so ein Foto jetzt eigentlich bearbeitet. Sicherlich wäre es klug gewesen, die Übungen am Computer nachzuvollziehen — ich zog es aber vor, die Workshops auf dem Sofa zu bingen und sie wie ein munteres Unterhaltungsprogramm zu behandeln.
Mir ist das Einstein zugeschriebene Bonmot, wonach die Definition von Idiotie sei, immer das Gleiche zu tun und jedes Mal auf einen anderen Ausgang zu hoffen, bekannt. Insofern war es schon idiotisch, an meinem Verhalten der letzten Jahre, nämlich immer wieder auf der bequemen Couch zu sitzen und nicht aktiv fotografieren zu gehen, festzuhalten.
Inzwischen waren wieder einige Jahre vergangen und an den Kernproblemen ‑Bildbearbeitung und Kameragewicht- hatte sich wenig geändert. Zudem kam meine leichte Entwicklung ins Stocken. Ich war zwar besser, als ich noch ein paar Jahre zuvor, ich kam aber weiterhin nur sehr, sehr langsam voran. Dann hatte ich aber eine geniale Idee: ein neues Kamerasystem musste her!
Am Horizont zeichnete sich die Lösung für meine Probleme ab. Es gab da einen Hersteller, der nicht nur sehr stylishe Kameras herstellte, sondern auch die Bildentwicklung bereits in der Kamera übernahm. Das System war leichter — die Bildbearbeitung konnte wegfallen: it appeared as if we had the perfect match.
Hope is not a strategy.
Für das neue Kamerasystem kaufte ich mir direkt Festbrennweiten. Das sind Objektive, mit denen man zwar nicht zoomen kann, die aber in Sachen Bildqualität unschlagbar sind.
Und, oh boy, war ich motiviert. Mir hätte natürlich auffallen können, dass das bereits mehrmals in den letzten Jahren der Fall war. Aber wer will sich schon ernsthaft kritisch mit sich selbst auseinander setzen, wenn gerade ein neuer Kleinwagen in Form eines Kamerasystems in die eigene Wohnung eingezogen ist.
Als ich dann noch in einer Facebook-Gruppe las, dass ein Fotograf der offenbar von allen anderen in der Gruppe als großer Meister gefeiert wurde, fragte, ob er mal einen Workshop geben solle, gehörte ich zu den ersten, die “ja” schrien — übrigens ohne überhaupt zu wissen, dass dieser Typ eigentlich für einen Workshop geben würde.
So folgte dann ein paar Wochen später mein erster Workshop — übrigens zur Portraitfotografie, denn die kann Robin Disselkamp, der Workshop-Leiter, richtig gut.
Plötzlich begann vieles Sinn zu machen. Ich hatte ja einiges an Wissen aufgesogen über die letzten Jahre und war erstaunt, wie toll das Ganze war, wenn die Theorie in die Praxis umgesetzt würde. Und ich machte meine ersten Fotos, von denen ich ein wenig beseelt war.
Völlig euphorisch und völlig vom >Dunning-Kruger-Effekt übermannt, bot ich darauf relativ großspurig an, Portraits machen zu können — und so kam es zu meinem ersten Auftrag, eine Band zu fotografieren.
Ich werde in Kürze auch hierzu einen kleinen Blog-Post schreiben, denn da habe ich mich gehörig übernommen. Die Fotos waren, gelinde gesagt, ausgesprochen scheiße — die Bandmitglieder hatten nämlich allesamt schwarze Oberteile an und ließen sich vor einem schwarzen Hintergrund ablichten. Mit viel künstlerischem Wohlwollen könnte man sagen, dass ich eben nur die Köpfe fotografieren wollte, weil welche Rolle spielt der Körper, der ja sowieso nur kapitalistisch ausgebeutet wird, für ein Bandmitglied? Nun ja, die Bandmitglieder sahen das ein wenig anders und zum Glück bestand meine Gage nur aus einem, allerdings durchaus üppigen, Burger King-Menü. So fiel es mir dann leicht, mich nach dem Absenden der Fotos, auf die ich ursprünglich sogar einigermaßen stolz war, einfach nie wieder bei denen zu melden.
In meiner Euphorie getrübt verlor ich erneut die Freude an der Fotografie. Ich fragte mich zeitweise sogar, ob ich überhaupt jemals Spaß am Fotografieren empfunden hatte, oder mich in Anbetracht des Kleinvermögens, dass da über die Jahre in Kameras und Objektive gewandert ist, nicht bloß verpflichtet gefühlt habe, fotografieren zu gehen.
Es folgte ein Phase der fotografischen Depression. Ich fand meine Bilder belanglos und langweilig, schaute wieder YouTube und hoffte, dass ich auf wundersame Weise inspirierter und besser würde. Jedoch hat sich die Hoffnung auf die gute Fee, die einem als Heilsbringer eine drängende Sorge nimmt, noch nie als konstruktiver Lösungsansatz erwiesen.
Dieses Mal wechselte ich nicht das Kamerasystem, wurde aber auf einen Workshop aufmerksam, der ursprünglich in der Nähe von Bremen, mangels Teilnehmern aber tatsächlich in Österreich stattfand. Drei Tage mit zwei Models in einem Schloss, ein sehr intensiver Workshop mit viel Theorie und noch mehr Praxis stand auf dem Programm. Das Ganze in einer Kleingruppe, so dass wirklich viel Zeit zum Fotografieren blieb. Dieser Workshop war ein erster Wendepunkten zu meiner wirklichen Begeisterung für die Fotografie.
Ich nahm mir also vor, mehr Portraits zu fotografieren — wozu es aber nie wirklich kam. Ich hatte einen etwas ätzenden Job im Einzelhandel, in dem ich mich zwar ganz gut entwickeln konnte, der aber auch wie ein Vampir jede Energie aus mir zog. Regelmäßig arbeitete ich sechzig Stunden in der Woche — immer wieder auch mal an sechs Tagen in der Woche, wobei es dann siebzig Arbeitsstunden waren. Dass der kräftezehrende Job über viele Jahre das eigentliche Hemmnis für meine fotografische Entwicklung war, wurde mir erst ein paar Jahre später bewusst, als ich Beruf und Branche gewechselt hatte.
Ein weiterer wichtiger Schritt, der mir die Freude an der Fotografie tatsächlich zurückbringen sollte, kam dann an einem völlig unwahrscheinlichen Ort: auf Twitter.
Im April 2022 setzte Sandra einen Tweet ab, in dem sie schrieb, dass sie gerne eine Fotogruppe hätte. Ich kannte Sandra irgendwie von einem Fotowalk, den wir ein paar Monate davor unternommen hatten. Tatsächlich erinnere ich mich überhaupt nicht mehr, wie der gemeinsame Ausflug überhaupt zustande kam.
Die Idee einer Fotogruppe fand ich jedenfalls ganz charmant, zumal ich mein Glück schon einmal in der größten Bremer Fotogruppe versucht hatte — die hatte ich aber als so hochnäsig wahrgenommen, so dass sich mein Interesse dort mitzuwirken bereits nach dem ersten Treffen zerschlug.
Da sich auch Matthias auf Twitter tummelte, mit Sandra connected war und ihren Tweet ebenfalls sah, bekundete auch er sein Interesse und so fanden wir uns kurz darauf in einem Restaurant wieder, um mal zu sehen, ob wir uns miteinander verstehen und was genau eigentlich unsere Anforderungen an eine solche Fotogruppe sein würden.
Unser Anliegen war, lockere Zusammenkünfte unter Fotointeressierten zu organisieren, uns gegenseitig zu unterstützen, in den Erfahrungsaustausch zu gehen und vor allem eine gute Zeit zu haben. So haben wir dann noch am gleichen Abend die Fotogruppe sicht | 28 gegründet und du merkst vielleicht, dass die 28 eine durchaus relevante Zahl ist: Das Bremer Postleitzahlengebiet beginnt nämlich damit.
Mit Daniel kam dann ein weiteres wichtiges Mitglied in die Gruppe, der fotografisch so euphorisch und interessiert ist, wie ich es erfreulicherweise mittlerweile selbst bin.
Inzwischen war ich auch dem schwarzen Loch des planetaren Einzelhandels mit Unterhaltungselektronik und sechzig-Stunden-Wochen entflohen und mit der neuen Tätigkeit, die zwar deutlich herausfordernder ist, gleichzeitig aber auch deutlich mehr Zeit lässt, kommt die Kreativität allmählich zurück. Und die Freude an der Fotografie.
Erstmals seitdem ich das erste Mal eine Kamera gekauft habe, die IXUS mit dem kleinen Sensor, dem minimalen Zoom, aber dem beeindruckend lichtstarken Objektiv, habe ich auch die Muße, mich mit ernsthaft mit der Fotografie zu beschäftigen. In den vergangenen Wochen habe ich bereits einige, wie ich finde, gute Bildideen umgesetzt und ich freue mich auf alles, was da noch kommen wird.
The INTERNET IS THE LARGEST EXPERIMENT IN ANARCHY THAT WE HAVE EVER HAD:
ÜBER DIEse SEITE
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Eine Webseite mit einem Blog. In 2023. Jetzt, da alle bei Instagram sind, Reels austauschen oder sich Snaps über den gleichnamigen Chat senden. Das hat schon fast etwas rührend nostalgisches. Andererseits bedienen Vinyl-Platten und analoge Fotografie eben auch genau dieses Gefühl. Im Gegensatz zu Vinyl oder dem Fotografieren mit Film findet die Entschleunigung eines Blogs eben nur im digitalen Raum statt, was fast wie ein Widerspruch wirkt — aber gemessen an der Schlagzahl, mit der TikToks über das kleine iPhone-Display huschen, ist so ein Blog, in dem man lesen muss, Entschleunigung pur.
Die Idee, eine Webseite zu bauen, umtreibt mich schon seit einigen Jahren. Und ich habe immer wieder Anläufe unternommen, eine eigene Präsenz im Web aufzubauen. Ähnlich wie bei der Fotografie verpuffte nach anfänglicher Euphorie aber immer wieder die Lust, und so habe ich viele, viele Stunden damit verbracht, Webseiten zu gestalten — und doch wieder zu verwerfen.
Tatsächlich hing meine Passivität, Webseiten mit Inhalten zu füllen, auch stark mit meiner schlechten Fotografie zusammen. Und dem selbstgemachten Frust genau darüber.
Wie du siehst, hat es nunmehr geklappt. Yay, hier Konfettiregen einblenden.
Ich habe endlich die Energie und die Zeit, mich nicht nur mit Fotografie zu befassen, sondern auch darüber zu schreiben. Beides bereitet mir nämlich grundsätzlich große Freude.
Und so ist die Webseite auch ein kleines Mahnmal an mich selbst: denn da wo ich war, möchte ich niemals wieder hinkommen. Dabei ist meine schleichende Entwicklung in Sachen Fotografie weniger gemeint, als wieder einem Beruf nachzugehen, der mir so wahnsinnig viel Energie entzieht, wie es meine vorherige Tätigkeit getan hat.
Darüber hinaus ist sie natürlich auch ein kleiner Tritt in den eigenen Hintern: meine Fotografie, die sich noch entwickelt und faktisch erst am Anfang befindet, hat hier einen öffentlichen Raum. Es wird also vielleicht auch den einen oder die andere geben, die das Ganze hier liest, sich vielleicht an den Bildern erfreut oder möglicherweise sogar den einen oder anderen Lerneffekt mitnimmt.
Perspektivisch werde ich dich nämlich auch immer wieder an meinen Misserfolgen teilhaben lassen. Denn machen wir uns nichts vor: nicht jeder Shoot läuft erfolgreich. Auch Profis freuen sich, wenn ihre Ausbeute von gemachten zu nutzbaren Bildern irgendwo bei zehn Prozent liegt.
Das Geheimnis auch der besten Fotografen ist eben, dass sie ihre schlechten Bilder nicht zeigen — und so den Eindruck erwecken, sie würden eigentlich nur Genialität produzieren.
Es ist unbestritten, dass Übung den Meister macht. Und diese Seite ist ein erster Schritt, mich selbst dabei zu begleiten. Es muss gar nicht mal der Meister sein, “gut” wäre schon ein großer Erfolg.
Ich wünsche dir nun viel Freude auf 28FOTOS und heiße dich herzlich willkommen! Vielen Dank, dass du dir die Mühe gemacht und das alles bis hierher durchgelesen hast.