An der Seite meiner lieben Freundin Caro habe ich bereits mehrere >Fotowalks unternehmen dürfen. Es hat uns unter anderem in unseren Heimatstadtteil Bremen-Walle verschlagen, in die etwas außerhalb gelegenen Stadtteile Blumenthal und Vegesack oder in die Innenstadt.
Dass mein Lieblingsmodel und unsere gemeinsame Freundin Chanti mal dabei sein würde, galt bislang als eher unwahrscheinlich. Und das lag, jedenfalls unter anderem, an ihrer kaum in Worte zu fassenden Lauffaulheit.
Caro ist meine ehemalige Vorgesetzte und auf der Arbeit hatte sie ein wichtiges Dogma, wenn irgendwo ein Problem auftrat: “Denk in Lösungen, sonst verharrst du im Problem.”
Das Motto ist unbestreitbar klug und ich habe es seitdem immer wieder beherzigt. Und tatsächlich hilft es, sich nicht mit dem zu befassen, das ohnehin schon passiert ist oder blockiert, sondern den Blick darauf zu richten, wie eine Situation, in welcher Form auch immer, gelöst werden kann.
Ein fotografisches Problem, mit dem ich regelmäßig zu kämpfen hatte, war das ganze Equipment, das ich oft durch die Gegend tragen musste: Stative, Softboxen, Blitze, Kamera und Objektive, Dekomaterial und oft auch eine Kühltasche mit erfrischenden Getränken.
Da kam immer einiges an Gewicht und Volumen zusammen und so dachte ich über eine Lösung nach, das ganze Gerödel vollständig, geschützt und komfortabel von einem Ort zum anderen und wieder zurück transportieren zu können.
Ein Auto würde ausscheiden. Ich habe kein eigenes Auto und eigentlich braucht man in Bremen auch keines: der Öffentliche Personennahverkehr funktioniert sehr gut, die Wege sind meist so kurz, dass sie auch fußläufig gut erledigt werden können und im Zweifel greife ich auf einen lokalen Carsharing-Anbieter zurück, dessen Autos überall im Stadtgebiet verteilt stehen und die auch mehr oder weniger irgendwo wieder abgestellt werden können, nachdem sie genutzt wurden.
Von Bollerwagen und AirTags
Irgendwann kam dann der Geistesblitz: ein klassischer Bollerwagen sollte her. Darin könnte ich mein ganzes Zeug transportieren. Nur: wo lagern? So ein Bollerwagen ist groß und sperrig, mein Keller nicht unbedingt ein Musterort gepflegter Ordnung und so ein Ding durch das Treppenhaus in die Wohnung schleppen, erschien mir unpraktisch. Außerdem bliebe die Frage, wo ich so einen Wagen dann lagern sollte: irre viel Platz habe ich nicht mehr frei und so wahnsinnig hübsch ist ein Bollerwagen dann auch nicht.
Als ich dann begann, das Internet nach passenden Bollerwagen-Lösungen zu durchforsten, fand ich schnell das perfekte Modell: sehr lang, kann auch hohe Gewichte aushalten und: faltbar!
So habe ich dann dieses kleine Monstrum von Bollerwagen bestellt und ein paar Tage später von meiner Pick-Up-Station abgeholt.
Chanti erfuhr als erste von meinem Bollerwagen. Natürlich. Sie ist meine beste Freundin und spielt als solche eine ganz besondere Rolle in meinem Leben.
Sie weiß also alles, was bei mir so vor sich geht und natürlich habe ich ihr auch voller Freude von meinem Bollerwagen-Kauf berichtet und entgegen meiner Erwartung war sie nicht begeistert, sondern skeptisch.
Ich bräuchte doch keinen Bollerwagen, bislang hätten wir mein Zeug doch auch immer so transportiert bekommen. “Aber”, erwiderte ich, zugegeben ein wenig in Not, “in so einem Bollerwagen können wir auch dich transportieren.”
Chantis Blick zeigte mir: diese Idee fand sie richtig gut. Die Aussicht, sich prinzessinnengleich in so einen Wagen zu setzen und sich durch die Gegend karren lassen — das ist ihr Ding. Vor allem, wenn ich derjenige sein würde, der den Wagen ziehen muss.
Und so kam es, dass wir ein paar Tage später den Bollerwagen einweihen wollten.
Sehr zu unserer Freude, hatte Caro Lust, sich uns anzuschließen und so wurde aus einem Ausflug mit Bollerwagen ein Foto-Portrait-Walk. Der erste in diesem Jahr. Und der erste in dieser Konstellation.
An einem Sonntagmittag haben wir uns dann getroffen. Chanti wurde also in den Bollerwagen verfrachtet und sehr viel Fotozubehör um sie herum drapiert. Und natürlich eine Kühlbox, damit wir den Elektrolyte, Zucker- und Alkoholhaushalt während des Shoots auf einem gesunden Niveau halten könnten.
So eine richtige Bildidee hatten wir für die Walk-&-Shoot-Session nicht, da aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestand, dass wir in einen Bezirk mit vielen Bürogebäuden gehen würden, bat ich Chanti, ihren rosafarbenen Anzug anzuziehen.
Dass sie eine Großmeisterin in allen Fragen von Haarstyling und Make-Up ist, hat sie dann auch noch einmal unter Beweis gestellt. Mit Sleeky Hair, Smokey Eyes und einem ansonsten wie immer perfekten Make-Up hat sie mal wieder eine unbeschreiblich schöne Grundlage für alles, was an diesem Tag fotografisch kommen würde, geschaffen.
Unser erstes Ziel sollte zunächst ein Parkhausdach werden. In der Bremer “Überseestadt”, einem fancy Neubauviertel ähnlich der Hamburger Speicherstadt, wollten wir unsere ersten Fotos machen.
Chanti hatte es sich in der Zwischenzeit im Bollerwagen durchaus gemütlich gemacht und zu meiner großen Freude lässt sich das Ding echt gut ziehen und kinderleicht manövrieren.
Direkt auf dem Dach fiel mir dann aber auf, dass ich irgendwie meinen Haus- und Wohnungsschlüssel nicht bei mir hatte.
Das erste Mal wäre es darauf angekommen, dass mein iPhone mir einen Hinweis gibt, dass ich mich ungebührlich weit von meinem an dem Schlüsselbund befindlichen AirTag entferne.
Jedes Mal schlägt das Ding Alarm. Wenn ich im Büro meinen Schreibtisch verlasse, um kurz zum Supermarkt um die Ecke zu gehen: Alarm, der AirTag ist zu weit weg. Wenn ich den Schlüssel mal im Auto liegen lasse, um spazieren zu gehen und ein paar Schritte gelaufen bin: Alarm, der AirTag ist zu weit weg. Und jetzt: nix.
Zum Glück ist das Parkhaus nicht so wahnsinnig weit von meiner Wohnung entfernt und ebenfalls zum Glück stand ein Auto des oben erwähnten CarSharing-Anbieters direkt vor meiner Tür. Also bin ich zurückgelaufen, habe den Schlüssel, der noch in der Haustür steckte, geholt und bin wieder zurück auf das Parkhausdach.
We had Joy, we had fun, The flash HAs got more power than the sun
Mit leicht erhöhtem Puls wollte ich dann mein erstes Foto machen. Gegen die Sonne mit ordentlich Dampf unter dem Kessel des Blitzes.
Natürlich löste dann der Funkauslöser nicht aus und so musste ich mich erst einmal auf Fehlersuche begeben. Es tat sich nämlich so rein gar nichts und ich hatte keine Ahnung, woran es lag. Also außer an mir, denn der Funkauslöser war neu und ich hatte den noch nicht mit dem Blitz ausprobiert.
Der Pulsfrequenz war das Ganze dann nicht so irre zuträglich: wenn Technik nicht funktioniert und Leute auf einen warten müssen, finde ich das immer zumindest lästig.
Ein paar Google-Suchen später war das Problem dann aber gelöst und so konnte ich mein erstes Foto des Tages machen: Chanti auf dem Parkhausdach, in ihrem Rücken die Sonne und das Ganze, wie ich finde, sehr wundervoll belichtet.
Es galt dann, das Fotozubehör wieder zusammen zu räumen und ich habe nicht bedacht, dass der Blitzauslöser noch auf meiner Kamera war.
Die Kamera habe ich Chanti mit der Bitte gegeben, kurz darauf aufzupassen und sie hatte die durchaus nette Idee, ein paar Fotos von Caro und mir zu machen.
Nun hatte ich aber den durchaus leistungsfähigen Blitz noch in der Hand und die Softbox darauf gerade abgebaut. Als sie dann den Auslöser betätigte, gab der Funkauslöser natürlich das Signal an den Blitz, mal zu blitzen.
Ich weiß nicht, wie es ist, in eine Atomexplosion zu gucken — besonders weit weg von dem gleißenden Licht, dass dann meine Netzhaut getroffen hat, kann es nicht sein.
Ich war mir einen Moment lang sicher, dass ich ab sofort auch in der Dunkelheit würde sehen können. Oder gar nicht mehr. Aber keine Sorge: es geht mir gut.
Caro und ich wussten von einer kleinen Grünanlage, die zwischen zwei Bürogebäuden in der Nähe angelegt war und die sollte dann das Ziel werden, zu dem wir als nächstes ziehen würden.
Im wahrsten Sinne des Wortes übrigens, denn Chanti hat sich wieder in den Bollerwagen gesetzt und die schätzungsweise vierhundert Meter an einem Weinschörlchen nippend transportieren lassen. Ich sagte ja bereits: “prinzessinnengleich”. Und letztlich natürlich absolut zu Recht, den Vorschlag hatte ich ihr ja unterbreitet.
Stuntshow-Chantow
In fotografischer Hinsicht war der Hinterhof, in dem wir uns wenige Minuten später wiederfanden, ein Traum. Zum einen war er schattig gelegen, es war nämlich nicht nur sehr sonnig, sondern auch sehr warm. Zum anderen stand die Sonne so, dass sie von einer der weißen Hauswände reflektiert und so ein geradezu zauberhaftes Licht gab. Eine riesige Softbox, die da einfach so in der Gegend rumsteht und jederzeit verfügbar ist. Jedenfalls wenn es sonnig ist und die Sonne im richtigen Winkel steht.
Da kein Fotoshoot ohne verrückte Ideen auskommen darf, hatte ich dann den großen Wunsch, dass Chanti von einer niedrigen Mauer springen würde. Mit angewinkelten Beinen. Warum weiß ich jetzt auch nicht mehr und ich war mir nicht einmal sicher, ob dabei ein gutes Foto rumkommen würde, aber sie hat sich dagegen nicht gesperrt, gleichwohl ein wenig gemeckert. Das ist dann aber ein Opfer, dass ich gerne auf mich zu nehmen bereit bin.
Leider habe ich ihre rechte Hand bei meinem ersten Versuch, das Foto zu machen, ein wenig angeschnitten. Das führte dann dazu, dass sie den Sprung noch einmal wiederholen musste. Und dann noch einmal, das zweite Bild war dummerweise auch nicht so richtig geglückt.
Mit meinem dritten Versuch war das Bild dann aber ein Erfolg. Und ich bin dir, liebe Chanti, sehr dankbar, dass du diesen kleinen albernen Spaß mitgemacht hast.
Auch Caro hat natürlich viel fotografiert. Und es ist total spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Fotos sein können, die wir am gleichen Ort und in diesem Fall mit dem gleichen Model machen.
Wie immer wenn wir zu dritt unterwegs sind, kommt die gute Laune nicht zu kurz. Wenn dann am Ende noch das eine oder andere schöne Foto dabei herumkommt, ist das natürlich noch das Sahnehäubchen.
Und ja, natürlich sind da schöne Fotos bei rumgekommen.
Von Birken und einem unsichtbaren Auto
Im Anschluss an unseren Besuch im Hinterhof verschlug es uns in ein kleines Birkenwäldchen.
Tatsächlich war das nur eine Wiese, auf der ein paar Birken standen. Mit dem richtigen Bildwinkel entsteht gleichsam tatsächlich der Eindruck, dass wir uns nicht inmitten von urbanen Bürokomplexen, sondern irgendwo außerhalb der Stadt aufgehalten haben.
Ich liebe Chantis Pose auf diesem Foto. Die ist sehr fashionable und hat eine unglaubliche Spannung. Und so gehört das Bild auch zu meinen Lieblingsfotos, die auf unserer kleinen Fototour entstanden sind.
Direkt neben dem vermeintlichen innerstädtischen Wald sah es dann auch gleich wieder deutlich innerstädtischer aus: Steine und Beton scheinen das neue Grün zu sein. Immer mehr Vorgärten haben keine Blumen und Bäume, sondern Geröll und Zement als dekorative Elemente. Sieht zwar scheiße aus, spart aber sicherlich das Rasenmäher und das Blumengießen.
Dass dadurch Insekten immer weniger Lebensraum haben, ist natürlich eine bedauernswerte Begleiterscheinung und wenngleich ich die individuelle Entscheidung für den cleanen Look und den geringen Aufwand für die Vorgartenpflege nachvollziehen kann, ist es in der Masse eine durchaus traurige Entwicklung. Aber das ist ein anderes Thema, über das ich mich in den sozialen Medien gehörig aufregen könnte. Allerdings habe ich dazu gar keine große Lust.
Der Reduktion der domestizierten Natur steht aber der Reiz des Fotografischen entgegen. Denn die Fahrradständer, in die ich Chanti gesetzt habe, bilden mit der sehr sterilen Umgebung ein tolles Setting.
Eigentlich stand noch ein Lieferwagen hinter Chanti. Da aber auch Photoshop mittlerweile mit einer leistungsfähigen KI daherkommt, war es mit ein paar wenigen Klicks und dem richtigen Prompt (“remove car”) ausgesprochen leicht, das Auto verschwinden zu lassen.
Allmählich neigte sich unser Ausflug zu dritt dann auch dem Ende entgegen. Caro hatte noch einen Termin, während Chanti und ich noch eine Bratwurst auf einem jährlich stattfindenden Kunsthandwerker-Markt in der Nähe essen wollten.
Natürlich ließ Chanti es sich nicht nehmen, sich auch hier wieder in den Bollerwagen zu setzen.
Praktisch, wenn sie die Kühlbox dabei direkt vor der Nase hat und so der Zugriff auf die von ihr geliebte Weißweinschorle jederzeit möglich war.
Auf dem Weg zum erwähnten Markt verabschiedeten wir uns von Caro und konnten dann unsere wohlverdiente Wurst essen.
Wir trafen dort zudem noch Chantis Eltern und ein paar von deren Freunden, mit denen wir uns nett unterhalten haben.
Den Tag ließen wir dann in einer Eckkneipe in der Nähe bei einer weiteren Weinschorle und einer Cola ausklingen.
Die Kneipe hat den Charme eines Vereinsheims für die Nachbarschaft und da Chanti ganz in der Nähe wohnt, trafen wir dort noch viele vor allem ihr bekannte und mir jedenfalls teilweise bekannte Menschen.
Natürlich sorgte der Auftritt Chantis für einige Belustigung, sie hat sich natürlich auch hierher mit dem Bollerwagen fahren lassen.
Unser schöner, aber auch langer und anstrengender Fototag endete dann damit, das ganze Equipment noch zu mir in die Wohnung zu räumen. Chanti war so lieb, mir dabei zu helfen.
Den Tag mit wundervollen Menschen zu verbringen, das schöne Wetter genießen zu können und dabei einen charmanten “alles kann, nichts muss”-Vibe über dem Ausflug wabern zu haben, haben aus einem eigentlich ganz normalen Sonntag wieder einen besonderen Tag werden lassen.
Mit tollen Fotos, viel Freude — und natürlich dem knallroten Bollerwagen.